0451 - Schwarze Träume
so oft hatte gehen müssen.
Er mußte sterbend nur genug Zeit finden, sich auf das Schlüsselsymbol und die magische Formel zu konzentrieren. Er mußte sie aussprechen können.
Manchmal dachte er daran, daß es vielleicht gut wäre, wenn er einmal diese Zeit nicht mehr hatte und nicht wiederbelebt wurde.
Die Erinnerung kam zurück.
Er war nach Florida geflogen, um sein Haus wieder in Besitz zu nehmen, das so lange verwaist gewesen war, während er mit den Peters-Zwillingen und Julian in einem Versteck lebte. Jetzt mußte er feststellen, daß sich sehr viel verändert hatte. Selbstverständlich war er längst für tot erklärt worden. Seine Firma hatte einen Verwalter in sein Haus gesetzt. Und dieser Verwalter, Roul Loewensteen, hatte auf ihn geschossen.
Er hatte gerade noch Zeit genug gehabt, sich nach Avalon zu versetzen. Ansonsten wäre er jetzt wirklich tot. Aber so war er aus dem Rettungshubschrauber spurlos verschwunden. Er hoffte, daß der Notarzt, der mitgeflogen war, dadurch keinen Schock erlitten hatte. Der Mann, der wie alle anderen seinen Patienten längst aufgegeben hatte. Es war klar gewesen, daß der angeschossene Robert Tendyke das City-Hospital von Miami nicht mehr lebend erreichen konnte.
Und nun war er fort.
Und niemand ahnte, daß er noch lebte - daß er wieder lebte! Niemand von denen, die ihm nicht hatten glauben wollen, daß er Robert Tendyke war. Oder denen verboten worden war, es zu akzeptieren…
Warum?
Weil sein Wiederauftauchen der Konzernleitung nicht in den Kram paßte. Den Chef des riesigen, weltumspannenden Firmenkonsortiums Tendyke Industries, Inc . mit all seinen aberhunderten Unterfirmen, die er im Laufe der Zeit in seinen Besitz gebracht hatte, um finanziell abgesichert zu sein. Es war einmal ganz anders gewesen, in grauer Vorzeit. Aber er erinnerte sich, daß er schon vor vierhundert Jahren nicht mehr zu den Ärmsten im Lande gezählt hatte.
Wie lange war das her? Wie viele Leben hatte er danach gelebt?
Er hatte ein Wirtschaftsimperium aufgebaut. Nicht, um damit die Politik zu beherrschen. Das lag ihm fern. Politik sollten die betreiben, die etwas davon verstanden. Er wollte sich nur absichern. Und das war ihm bisher gelungen.
Jetzt wollte man ihm zum ersten Mal nehmen, was ihm gehörte.
Und größtenteils trug er selbst die Schuld daran. Wenn er nicht für etwa ein Jahr völlig verschwunden gewesen wäre, hätten sie keine Chance gehabt. Aber er galt als tot, und so konnten sie über seinen Besitz verfügen. Und wie sollte er jetzt beweisen, daß er nicht tot war?
Vor Loewensteens Schuß wäre das noch möglich gewesen. Aber Loewensteen hatte ihm eine Kugel ins Leben gejagt. Und daß der Sterbende aus dem Hubschrauber verschwunden war… konnte das überhaupt aktenkundig gemacht werden? Würden sie nicht irgendeine Möglichkeit finden, das Unglaubliche zu löschen? Fest stand, daß er erschossen worden war. Die Polizei wußte es. Sheriff Bancroft selbst hatte Tendyke gesehen mit der furchtbaren Wunde. Was gab es dagegen zu sagen?
Langsam erhob er sich. Der Schmerz ließ nach, der ihn jedesmal Angst vor dem Sterben haben ließ.
»Wo bin ich?« murmelte er.
Er mußte sich erst einmal wieder zurechtfinden. Er mußte sich orientieren. Er hoffte, daß er nicht allzu weit von dem Ort entfernt war, an dem er verschwunden war. Also in Florida, irgendwo zwischen Miami und seinem anderthalbstöckigen Bungalow, den jetzt sein Mörder als Verwalter bewohnte.
»Nicht mehr lange«, murmelte er. »Den Vogel schmeiß' ich raus. Und dann darf er froh sein, wenn ich ihn nicht den Alligatoren zum Fraß vorwerfe!«
Er war in der richtigen Stimmung dazu!
***
»Du siehst aus, als wäre dir der leibhaftige Tod begegnet«, stellte John Ivory fest. Er hatte den Wagen gehört und war zur Tür gegangen, um sie zu öffnen und Candice Roberts mit einem Kuß zu begrüßen. Aber ihr flackernder Blick erschreckte ihn.
»Ich bin ihm begegnet«, murmelte sie.
Er griff nach ihr und zog sie ins Haus. »Komm herein, setz dich und erzähl, was passiert ist. Hat dich jemand überfallen? Hattest du einen Unfall?«
»Du wirst es mir nicht glauben, was passiert ist«, sagte sie. »Die anderen haben es auch nicht geglaubt.« Sie setzte sich nicht, sondern nahm ein Glas und die Flasche Whisky aus dem Schrank, um sich einzuschenken. Gründlich - bis eine Fingerbreite unter den Rand. Sie trank die scharfe Flüssigkeit wie Wasser.
John griff nach ihrer Hand mit dem schon halb geleerten Glas und
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