0466 - Die Königin von Saba
der Körper pendelte über dem Deck, und wenn wir hoch genug waren, brauchte sie mich nur fallen zu lassen.
Die linke Hand hatte ich frei. Und mit ihr tastete ich nach meinem Dolch, den ich glücklicherweise bei mir trug. Über mir sah ich ihr Gesicht. Es zeigte unverhohlenen Triumph, und eine nahezu brutale Kälte nistete in ihren Augen.
Für sie war mein Tod beschlossene Sache.
Aber nicht für mich.
In einer fast wahnsinnigen Aktion und Kraftanstrengung war es mir gelungen, den Silberdolch aus der Scheide zu ziehen. Um die Vampirin zu treffen, mußte ich ihn in die Höhe schleudern, was bei meiner Situation einem Kunststück gleichkam. Ich wußte nicht einmal, ob wir noch über dem Deck schwebten oder den Bereich des Schiffes schon verlassen hatten. Ich konzentrierte mich einzig und allein auf den Wurf.
Mein linker Arm flog hoch, und die Faust öffnete sich. Ich wußte nicht einmal, ob genügend Kraft hinter dem Wurf lag, um durchzukommen. Layana kam mir entgegen, denn auch sie wollte zustoßen.
Mein Dolch war trotzdem schneller. Ich starrte auf den Griff, als die Klinge in der Brust steckte.
Auf der Wunde zeichneten sich schwach die Umrisse eines Schakalkopfes ab, das Bild des ägyptischen Totengottes.
Genau diese Stelle war sehr empfindlich. Die Hand mit dem Dolch sank zur Seite, ich wurde nicht mehr getroffen, dafür riß Layana weit ihr Maul auf, so daß ich die beiden Vampirzähne erkennen konnte, die aus dem Oberkiefer wuchsen.
Dann fiel sie.
Wie hoch wir über dem Grund schwebten, wußte ich nicht. Wahrscheinlich hätte ich mir sämtliche Knochen gebrochen, aber es gereichte mir zum Vorteil, daß ich Layana noch nicht restlos vernichtet hatte. Sie bewegte nach wie vor ihre Schwingen, so daß der Sturz überging in einen fast normalen Flug.
Wir landeten an Deck.
Ich würde durchgeschüttelt. Für einen Moment sah es so aus, als wollte Layana über mich fallen, aber sie raffte sich noch einmal auf und ließ mich los, bevor sie weitertorkelte, ihre Schwingen dabei bewegte, aber nicht mehr hochkam.
Sie glich mehr einem müden, großen Vogel, der vergeblich versuchte, sich in die Höhe zu schwingen.
Das war ideal für mich.
Obwohl mir die Knochen wehtaten, folgte ich ihr.
Stimmen schrieen mir etwas zu, ich ignorierte sie. Layana durfte nicht entkommen, da sie sich bereits auf die Reling zubewegte. Von dort konnte sie sich in die Tiefe stürzen, wenn sie die breite Front einmal überwunden hatte.
Ich war schneller als sie und hatte die Vampirin bereits an der rechten Schulter.
Der Griff war wie eine böse Klammer.
Sie setzte ihm nichts mehr entgegen. Ich riß sie zurück und herum, so daß ich sie anschauen konnte.
Mein Dolch steckte noch immer in ihrem Hals. Darüber sah ich das Gesicht, das allmählich grau wurde. Die noch vor kurzem so frische Haut wirkte jetzt wie ein alter Lappen, der sich immer mehr zusammenzog und die entsprechenden Falten produzierte.
Ich vernahm sogar die Geräusche, die hinter der Haut entstanden, als die Knochen brachen.
Nichts gab ihr mehr Halt.
Layana war erledigt, vernichtet, tot - und diesmal für alle Zeiten. Vor meinen Füßen sackte sie zusammen. Ihre einst so starken Flügel zerbrachen ebenfalls und blieben als Staub zurück, den der Wind erfaßte und davonwirbelte.
Er stob an Layanas Stelle über die Reling des Kreuzers.
Ich nahm den Dolch an mich. Als ich die Klinge aus der Wunde zog, sah ich das schwarz verbrannte Loch. Es wirkte wie die Öffnung eines Tunnels in eine andere Welt.
Ich drehte mich um, wollte gehen und starrte in die Mündungen zahlreicher Gewehre, die von den Soldaten gehalten wurden.
»Lassen Sie mich durch«, sagte ich und ging einfach los. Niemand schoß.
Die Mündungen wichen auch zur Seite, als ich den Weg ging, den ich zu gehen hatte.
Vor dem Henkelkreuz blieb ich stehen.
Ein Gesicht sah ich darin.
Die Königin von Saba lächelte mich zufrieden an, bewegte ihre Augenlider, und einen Moment später wurde ihr Lächeln zu einer Grimasse, weil das Kreuz genau an der Stelle, wo sich das Gesicht zeigte, anfing zu schmelzen.
Es verging, und zurück blieb nicht mehr als ein großer, goldener Fleck auf dem dunklen Untergrund der Stahlplatten…
***
Flucht war sinnlos, Jenna kam nicht weg, und doch wurde ihr Leben gerettet.
Plötzlich, sie wollte es kaum glauben, lösten sich die Nebelschwaden dicht vor ihrem Gesicht auf, und auch vom Boden her hörte sie ein Zischen, als wäre kaltes Wasser auf eine heiße Ofenplatte
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