047 - Die letzten Tage von Riverside
Bunkerplatzes ausgeschlagen. Gestern war er zurück nach Europa geflogen. Direkt von New York City aus. Und Liz würde heute einen der letzten Flüge an die Ostküste nehmen. Simon wartete auf ihren Anruf.
Gestern Abend hatte sie vor der Tür gestanden. »Burt hat mir Matts Bunkerplatz angeboten. Könntet ihr mich morgen zum Flugplatz fahren?« Genau das hatte sie gesagt.
In der Küche fremde Stimmen: Hörer, die Marc Shindler anriefen und über ihre persönlichen Erfahrungen mit der sprunghaft gestiegenen Kriminalität berichteten. Sie erzählten von Überfällen, Einbrüchen und Vandalismus. Marc kündigte ein Interview mit dem Polizeichef an. Danach ein Bob-Dylan- Song.
Ein Truck hielt vor dem Nachbarhaus, ein kleiner Autotransporter. Simon erkannte einen alten Chrysler aus den Zeiten des zweiten Weltkrieges und einen Jaguar E-Type aus den fünfziger Jahren auf der Ladefläche. Colin schaukelte durch den Garten und winkte dem Fahrer.
»Als wollte er aller Welt beweisen, dass das Leben immer so weiter geht«, murmelte Simon.
»Was sagst du, Darling?« Eves Stimme aus der Küche.
»Colin hat sich neue Arbeit bringen lassen.« Colin - dieses unverwüstliche Urgestein. Wie ein Verrückter arbeitete er in letzter Zeit in seiner Garage. Wann immer er dienstfrei hatte, hörte man ihn hämmern, bohren, schleifen. Nein, nicht der Welt - sich selbst wollte er beweisen, dass alles immer so weiter ging, immer so weiter.
Ein paar Männer aus der Nachbarschaft folgten Colin. Die Garage der Ashtons hatte sich zu einem beliebten Treffpunkt gemausert. Manchmal traf Simon mehr als zehn Männer und Frauen dort an. Die einen brachten Bier mit, andere Sandwiches, und jeder irgendein neues Gerücht. Und manchmal sah man sie mit den jugendlichen Schauspielern auf der Terrasse sitzen und feiern.
Pete Armagosa war selten mit von der Partie. Er hatte sich in sein Haus zurückgezogen. Simon besuchte ihn zwei Mal die Woche. Irrgner hing er dann in seinem Lehnsessel, trank Bier und sah CNN. Seine Frau bekam man überhaupt nicht mehr zu Gesicht. Sie hatte sich ins Bett verkrochen. Nur zu unregelmäßigen Mahlzeiten stand sie noch auf. Und um ihre Notdurft zu verrichten. Sie lebte noch und war trotzdem schon tot. Zum Heulen.
»Arbeit?« Eve steckte den Kopf aus der Küche. »So kurz vor Weihnachten?«
»Ja, so kurz vor Weihnachten.« Simon lachte in sich hinein. So kurz vor dem Ende, dachte er. Auf seine Weise ist Colin ein Held, wirklich wahr…
Er konnte die Heiterkeit, die ihn seit einigen Tagen beflügelte, nicht richtig einordnen. Es war alles so leicht, so intensiv, seit er begriffen hatte: Alles geschieht zum letzten Mal und dann nie wieder. Selbst die Dinge, die man Tag für Tag tut. Niemals sind es dieselben.
»Hab ich dir erzählt, dass Kathleen ihr Stück am Heiligen Abend aufführen wird?« Eves Stimme aus der Küche. Geliebte Stimme.
»Ach! Und wo?«
»In der lutherischen Kirche. Wir sind eingeladen.«
In der lutherischen Kirche… »Na, prächtig.«
In der Kirche, in der Matt und Liz getraut wurden. Matt, mein Sohn - lass dich nicht hängen. Machs wie Colin. Oder nein, machs wie seine Tochter…
»Wie heißt es eigentlich?« Es duftete nach gebackenem Teig.
»Ooch, Simon! Wie oft habe ich dir das schon erzählt! Es heißt: ›Besuch von der dunklen Seite des Mondes‹.«
»Ach ja, richtig« Simon erinnerte sich.
Vor dem Haus der Ashtons war der Trucker in den Jaguar gestiegen. Colin lotste ihn von der Ladefläche. In der Küche empfahl der Polizeichef von Riverside Telefonketten mit Nachbarn. Und wer eine Lizenz besitze, solle vorsichtshalber nicht mehr unbewaffnet auf die Straße gehen. Simon dachte an seine Dienstwaffe im Nachttisch. Eine SIG-Sauer P
28 aus seiner Zeit als Air Force-Pilot.
»Kathleen war heute Morgen hier, als du bei Pete warst. Sie hat mich gebeten zur Premiere zu kommen. Und ich soll dich grüßen; sie würde sich freuen, wenn du auch kommen würdest. Es sei auch ganz bestimmt kein religiöses Stück.«
Simon lachte. »Na, unter diesen Umständen werde ich es mir überlegen.« Tolles Mädchen.
Auch sie hat's kapiert..
Motorräder hielten vor Petes Haus, sechs Maschinen. Der Blonde mit der roten Lederkluft war dabei. Und der Drecksack mit den Aknenarben und dem Ziegenbart. Ricky, hieß er nicht so? Rudy lief über den Gartenweg, schwang sich bei dem Roten auf den Sattel, und wieder brüllten die Motoren auf. Die ganze Gang fädelte sich im dichten Rushhour-Verkehr auf der Lincoln-Avenue
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