0485 - Whisper - der Staubgeist
beobachtete.
Bisher war unsere Reise glimpflich verlaufen. Das hieß nicht, daß es auch so bleiben mußte. Zudem hatte uns der Abbé durch sein Verhalten gewarnt. Irgend etwas mußte in der Luft liegen, das allerdings nur er spürte.
»Der Zug kommt«, sagte Suko.
Ich faltete die Zeitung zusammen und schaute nach rechts. Schon erklang über Lautsprecher die Durchsage, und wir standen auf.
Auch der Abbé erhob sich. Von uns wollte er sich dabei nicht stützen lassen. Mit der rechten Hand hielt er den Griff seines weißen Blindenstocks umklammert, mit dem er sich vortastete.
Suko schob seinen Arm unter den des Abbés und näherte sich mit ihm zusammen dem Zug.
Wir besaßen Karten der ersten Klasse, weil wir unbedingt in einem Abteil sitzen wollten. Bis auf einen befanden sich nur Wagen der zweiten Klasse hinter der Lok. Wir mußten vorgehen bis zum dritten Wagen.
Ich öffnete die Tür. Warme Luft schlug uns entgegen. Der Zug war in der Sonne aufgeheizt worden.
In der Mitte betraten wir ein Abteil. Nur wenige Reisende stiegen in den Zug. Die meisten davon waren Jugendliche, die in Toulouse zur Schule gingen und in den umliegenden Dörfern wohnten. Sie stiegen nicht in der ersten Klasse ein.
Suko und ich nahmen am Fenster Platz und saßen uns dort gegenüber. Der Abbé hatte sich neben mich gesetzt und die Beine ebenfalls ausgestreckt. Er sprach nicht, konzentrierte sich auf die Geräusche und hörte, ebenso wie wir, das Zuschlagen der Türen.
Die typische Atmosphäre kurz vor Anfahren umgab uns. Jemand pfiff auf einer Trillerpfeife. Der Lokführer verstand das Zeichen, und wenig später lief ein Ruck durch die Wagen.
Wir rollten.
Ich schaute aus dem Fenster. Die Bahnsteige glitten vorbei. Menschen verschwammen, blieben zurück, wir verließen die Halle und rollten hinein in das offene Industrie-Gelände rund um den Bahnhof.
Wenig später überquerten wir die Garonne, einen Fluß, der Hochwasser führte und uns eine Zeitlang begleitete.
Es wurde eine relativ lange Fahrt, immer wieder durch Stopps unterbrochen.
War der Zug in Toulouse noch halbvoll gewesen, so änderte sich dies sehr schnell.
Hinter Castelnaudary wurden die Wagen praktisch leer. Ich schaute auf die wunderbare Landschaft. Alles begann zu grünen oder stand schon in der Blüte.
Die Berge waren schneefrei, Wälder begleiteten uns, auch mal ein kleiner Fluß. Dann wurde es Mittag und sehr warm. Ich hatte meine Jacke ausgezogen, war einige Male aufgestanden, in den Gang getreten. Weil ich mich bewegen wollte.
Sehr bald schon rollten wir in Richtung Süden. Jenseits der Hauptstrecke war die Gegend einsamer, die Orte kleiner, die Berge erschienen mir wuchtiger und die Täler weiter. So ähnlich sah es auch in Alet-les-Bains aus, einem Ursprungs-Zentrum der Templer, dessen Anführer der blinde Abbé war.
Kontrolliert worden waren wir schon, deshalb schauten wir überrascht auf, als der Schaffner plötzlich die Abteiltür aufriß.
Suko und ich schauten ihn gespannt an, nur Bloch rührte sich nicht.
»Was gibt es?« fragte ich, denn ich hatte bemerkt, daß der Mann etwas auf dem Herzen hatte.
»Der Zug wird in Limoux enden«, erklärte er uns.
»Ach. Und weshalb?«
»Wir können nicht mehr weiter. Ein Sturm, wissen Sie…«
»Nein, Monsieur, ich weiß nichts.«
Der Schaffner war nervös und wischte die feuchte Handfläche an seinem Hosenstoff ab. »Pardon, aber ich kann Ihnen auch nicht viel sagen. Ich weiß nur, daß wir nicht mehr weiterkönnen.«
»Und wie erreichen wir unser Ziel?« fragte Suko.
»Keine Ahnung, aber das ist höhere Gewalt.«
»Können wir uns in Limoux einen Leihwagen nehmen?« erkundigte ich mich.
»Wahrscheinlich.«
»Danke.«
Froh, seine Botschaft losgeworden zu sein, zog sich der Schaffner wieder zurück.
»Das ist ein Ding«, sagte ich und schüttelte den Kopf, hielt aber mit der Bewegung inne, als ich die Stimme des Abbé hörte.
»Es war keine höhere Gewalt«, sagte er leise. »Das war vielleicht höhere Magie.«
Ich schaute ihn an und Suko ebenfalls. Der Inspektor beugte sich vor. »Das mußt du uns genauer erläutern.«
»Ich wußte es.«
»Was?« fragte ich. »Daß wir nicht bis in die Nähe von Alet-les-Bains durchkommen?«
»So ist es.«
»Was weißt du denn noch?«
»Nicht viel, zu wenig eigentlich«, erwiderte er. »Aber ich hätte überhaupt nichts gewußt, wenn sich der Würfel nicht gemeldet hätte. Versteht ihr?«
Ich war ehrlich. »Eigentlich nicht, Abbé. Nur soviel, daß dich der
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