0488 - Die Mumie und der Totengott
lagen dort fein geordnet und genau sortiert. Die Kleidung bestand aus einem Gewand. Wenn mich nicht alles täuschte, gehörte es einer Frau.
Wurde eine Frau beigesetzt?
Noch verwehrten mir die Anwesenden den Blick auf den oder die Tote. So wartete ich, bis zwei in lange Gewänder gehüllte Männer zur Seite traten und das Fackellicht auf den Mittelpunkt des Grabes fallen konnte.
Scharf saugte ich die Luft ein.
Auf einem Altartisch lag ein totes Mädchen. Das war schon schlimm genug, als viel schlimmer sah ich den Zustand an, denn ich konnte zuschauen, wie die Tote einbalsamiert wurde.
Die ersten Vorbereitungen waren schon getroffen worden. Man hatte ihren Körper an bestimmten Stellen geöffnet und die inneren Organe entnommen, unter anderem auch das Herz.
So schlimm dies auch war, es war Voraussetzung für eine Einbalsamierung.
Die beiden Männer, die reichten mir nur bis zur Schulter, konnten der Arzt und der Hohepriester sein. Sie hatten ihre erste Aufgabe erfüllt und drängten die anderen Zuschauer zurück. Zumeist Sklaven und Helfer.
Jetzt konnte ich auch den Sarkophag erkennen. Er war nicht so prächtig wie der, den man einem toten König mit auf die letzte Reise gab. Ein schlichter Steinsarg, der bereits geöffnet war. Auf ein Zeichen des kleineren Hohepriesters hin, traten zwei Männer an die Tote heran und brachten die Binden, in die man das Mädchen einwickeln würde. Andere Sklaven schafften die Messer und Tiegel mit Öl zur Seite, so daß die weitere Arbeit nicht mehr gestört werden konnte.
Mir war es nicht gelungen, einen direkten Blick in das Gesicht der Toten zu werfen. Ich konnte mir gut vorstellen, daß es sich bei ihr.
um die Person gehandelt hatte, die ich auch in der gläsernen Pyramide gsehen hatte.
In der folgenden Zeit beschäftigten sich die Männer damit, die Tote einzuwickeln. Sie gingen sehr behutsam mit dem Körper und auch mit den Binden um, wollten nichts falsch machen und auch nichts zerreißen oder zerstören.
In der Glas-Pyramide war die Mumie nicht allein gewesen. Neben ihr hatte Anubis, der Schakalgötze gesessen. Hier sah ich ihn noch nicht. Vielleicht kam er noch.
Zunächst erschien einer der Hohepriester neben der Toten und scheuchte die anderen zur Seite. Er blieb an der Seite stehen, hob seinen Kopf an und schaute gegen die nicht sichtbare Decke und gleichzeitig in das Fackellicht hinein.
Aus seinem Mund drangen Worte, die ich nicht verstand, bis auf eines: Sechmet!
So hieß die Göttin. Sie war die Person mit dem Löwenkopf, und sie liebte den Krieg.
Sollte das Mädchen ihr geweiht werden?
Dreimal hatte der Hohepriester den Namen mit seiner dumpf klingenden Stimme gerufen.
Beim vierten Mal stimmten die anderen Personen mit ein. Zunächst leise, dann immer lauter. Aus dem Singsang und Murmeln ihrer Stimmen wurde ein dumpfes Brausen, das über ihre Köpfe hinwegschallte und in das Dunkel des Raumes hineinstieg.
»Sechmet – Sechmet…«
Sie zogen die einzelnen Vokale in die Länge. Sie stießen ihre Arme rhythmisch in die Höhe, sie wollten den Erfolg, sie huldigten der Göttin mit allem, was sie besaßen.
Und Sechmet erhörte sie.
Welche Kraft dieses alte Grabmal durchströmte, konnte ich nicht ermessen, jedenfalls erschien hoch über uns eine unheimlich wirkende Gestalt, die immer bedrohlicher wurde, je tiefer sie sich uns entgegensenkte.
Die Kriegsgöttin kam.
Und sie sah furchtbar aus. Eine düstere Projektion unter der Decke. Auf dem menschlichen Körper saß der Kopf einer Löwin. Er wirkte im Vergleich zum Körper gewaltig und furchterregend. Ein riesiges Maul, tückische Augen und den leichten Ansatz einer Mähne.
Sechmet gehörte zu den weniger bekannten Götzen der alten Ägypter. Auch ich hatte bisher kaum etwas von ihr gehört. Wer ihr huldigte, mußte dies möglicherweise im Untergrund tun, um von irgendwelchen Verfolgungen frei zu sein.
Als die Diener die Göttin sahen, fielen sie auf die Knie. Bis auf den Hohepriester, der seine Arme ihr entgegenstreckte, als wollte er sie auffangen.
In seinen Augen spiegelte sich der Widerschein des Feuers. Noch immer rief er ihren Namen, und ich sah, wie sich die Göttin löste und als Erscheinung dem Boden entgegenschwebte.
Bisher war mir die Unterscheidung noch nicht gelungen. Ich wartete ab, bis sie direkt neben der Toten zur Ruhe kam und auch weiterhin eingehüllt blieb in einen Mantel aus grüngelbem Licht.
Sie war bestimmt nicht ohne Grund gekommen. Was sie vorhatte, wußte ich nicht. Sie
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