049 - Trommeln des Todes
Dezember
John Belfry und ich begruben heute Morgen Mary Summer neben den anderen. Fünf Gräber sind es nun – und zehn Überlebende. Wann werden wir gerettet?
Ich war vollkommen erschöpft, als wir ins Lager zurückkehrten. Wir essen kaum noch, nur der Durst quält uns. Unser Wasservorrat ist bald aufgebraucht. Wir waschen uns überhaupt nicht mehr. Wir sind schmutzig, bleich und abgemagert; wir Männer bekommen bärtige Gesichter.
In trüber Stimmung aßen wir etwas. Plötzlich erhob sich Clara und zeigte in die Höhle, vor der wir saßen. Sie schrie: „Da, im Schatten sind wieder die grünen Lichter! Seht ihr sie nicht? Und die Stimmen! Hört ihr sie nicht? Sie wiederholen immer dasselbe Wort: arani … arani … arani. Das heißt: Tod … Tod … Tod!“
Mir lief ein kalter Schauer den Rücken hinunter.
Dieses Wort, das Clara hörte, dieses immer wieder geflüsterte Wort, war dasselbe, das ich in der Nacht zuvor gehört hatte, als ich allein in meinem Zelt war. Es war genau dieses Wort: arani.
Beinahe hätte ich laut aufgeschrien.
Peter van Broeck erhob sich ebenfalls und wiederholte immer wieder mit dumpfer Stimme: „arani, arani …“ Dann fuhr er fort:
„Ich höre auch dieses unheilverkündende Wort. Tod, Tod! Ich merke, daß auf meiner Stirn der blaue Fleck erscheint. Gebt mir einen Spiegel.“
Clara lief auf van Broeck zu und nahm sein Gesicht in ihre Hände. Sie betrachtete es und stieß einen Entsetzensschrei aus.
„Er hat den blauen Fleck! Oh, mein Liebling. Helft ihm doch! Tötet Higgins. Peter, laß mich mit dir sterben.“
Clara hatte recht. Mitten auf Peters Stirn formte sich ein kleiner blauer Fleck. Peters Wangen, sonst immer etwas gerötet, wurden aschgrau, in seinen Augen standen Angst und Grauen.
Clara, die früher bei jeder Gelegenheit lachte, war völlig verzweifelt. In meinen Ohren mischten sich die Trommelwirbel mit dem ständig wiederholten Wort: arani. Vergeblich versuchte ich mir einzureden, daß es nur Halluzinationen waren.
Inzwischen hat auch Clara den blauen Fleck. Sie, die bisher die größte Angst vor dieser Krankheit hatte, ist seltsamerweise jetzt ruhig und gefaßt. Auch Peter hat resigniert.
Sie baten, daß man sie zusammen in ein Zelt legte und sich nicht weiter um sie kümmerte. Nur einmal sprachen sie noch von Higgins. Er sollte Malcolm Beruhigungstabletten für sie geben.
Heute Nachmittag besuchte ich die beiden in ihrem Zelt. Sie lagen engumschlungen nebeneinander. Clara schlief mit friedlichem Gesicht. Peter sagte mir: „Nach diesen qualvollen Tagen fühle ich mich jetzt fast glücklich. Wir werden in Frieden zusammen sterben. Wir sind schon fast gelähmt, aber wir leiden nicht. Die aranis stören uns nicht mehr.“
Fast beneidete ich die beiden. Wir steckten noch mitten im Schrecken. Wenn wir alle sterben mußten, sollte es möglichst schnell geschehen.
Peter gab mir ein Zeichen näherzukommen. Dann flüsterte er:
„Ich war es, der O’Wilm getötet hat. Ich würde es vielleicht jetzt bedauern, wenn ich nicht wüßte, daß ich ihm einen Gefallen getan habe, um sein Leiden zu verkürzen. Aber war ich es wirklich? Ich weiß es nicht mehr. Aber im Zweifel gestehe ich lieber.“
Dieses seltsame Geständnis verwirrte mich jetzt weniger, als wenn ich es noch vor ein paar Tagen gehört hätte. Ich sprach mit niemandem darüber.
Ich kehrte ins große Zelt zurück, wo die anderen versammelt waren. Malcolm begann mit seiner Rede.
„Ich fürchte, wir sind in einer vollkommen hoffnungslosen Situation, wenn wir nicht morgen oder spätestens übermorgen gerettet werden. Wir müssen uns das klarmachen. Zwei weitere von uns werden sterben. Sieben Tote auf fünfzehn Menschen. Fast die Hälfte. Wir müssen handeln, sonst sind wir verloren. Ich bin überzeugt, daß man uns überall sucht. Da aber niemand unsere genaue Position kennt, kann es Wochen dauern, bis man uns findet. Inzwischen gibt es hier nur noch Gräber und Skelette. Deshalb müssen wir noch einmal in die Wüste. Wir werden das Funkgerät so weit von hier fortbringen, bis die Verbindung mit der Zentrale hergestellt ist. Wer begleitet mich?“
Niemand rührte sich.
„Und du, Jim?“
Ich zögerte. Ich fühlte mich ausgelaugt und bewunderte Theos Energie. Ich hätte gern ja gesagt und schämte mich, als ich nein sagte. Aber auch ich wollte, wie Belfry, meine Verlobte nicht allein lassen.
Malcolm sah uns einen Moment voller Verachtung an. Er erhob sich abrupt.
„Dann gehe ich eben allein. Ich will
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