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0491 - Die Wolfshexe

0491 - Die Wolfshexe

Titel: 0491 - Die Wolfshexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kurt Giesa
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»Ich werde noch wahnsinnig«, entfuhr es ihm. Was geschah mit ihm? War er krank?
    Er strich sich durch den verfilzten Bart und trat an das kleine Fenster, um nach draußen zu sehen.
    Das fahle Mondlicht rief ihn.
    ***
    Yvette Manderon war spät dran. Sie hatte ihre Freundin in Lannilis besucht. Die vier Kilometer waren kaum der Rede wert; sie ging sie häufig zu Fuß. Der Begriff »öffentliches Verkehrsmittel« stand in dieser Gegend nicht einmal im Fremdwörterbuch, und für ein eigenes Vehikel fehlte ihr das Geld. Sie besaß gerade mal ein Fahrrad, das auch schon bessere Zeiten gesehen hatte und geruhsam verrostete. Es hin und wieder mal zu putzen und zu pflegen, die Kette nachzuölen oder die Beleuchtung zu kontrollieren, dafür hatte Yvette sich noch nie die Zeit genommen. Das Ding bewegte sich ja, und wenn mal ein Reifen Luft verlor, flickte Alexander ihn bestimmt. Er las ihr jeden Wunsch von den Augen ab und hoffte, daß sie sein stummes Flehen eines Tages erhören würde, nur stand sie auf Männer mit Bart und nicht auf Milchgesichter wie den 19jährigen Alexander.
    Yvette fuhr ohne Licht, weil entweder Kabel, Glühbirne oder Dynamo kaputt waren. Sie fuhr auch in leichten Schlangenlinien; weil ihre Freundin gleich zwei Flaschen Amaretto auf einmal dabeigehabt hatte; Geburtstagsgeschenke ihrer Schulfreunde und -freundinnen. Bei der eigentlichen Volljährigkeitsfête hatte Yvette nicht dabeiseinkönnen, also wurde noch einmal im allerkleinsten Kreise nachgefeiert. Und wie. Die beiden jungen Damen hatten über die Männerwelt gelästert, die weitreichenden Erfahrungen eines erfüllten 17,5- beziehungsweise 18jährigen Lebens ausgetauscht und sich mit dem Amaretto köstlich amüsiert. Entsprechend heiter aufgelegt war Yvette auch jetzt noch -bis der Mann plötzlich vor ihr stand.
    Sie wußte nicht, woher er gekommen war. Jedenfalls stand er ihr im Weg und zwang sie zum Anhalten.
    Hundert Gedanken schossen ihr zugleich durch den Kopf, und alle kreisten um nächtliche Überfälle, Vergewaltigungen und ähnlich abscheuliche Verbrechen. Wenn jetzt etwas passierte, würden sich nicht einmal ihre Eltern Gedanken machen, weil Yvette bereits vorher wohlweislich verkündet hatte, es könne sehr, sehr spät werden. Immerhin war dies nicht Paris oder die Mittelmeerküste; hier passierte nie etwas. Und für den äußersten Fall der Fälle hatte ihr Vater ihr die Spraydose mit dem Reizgas gekauft und ihr eingeschärft, die im Falle eines Falles auch zu benutzen - lieber einmal zu früh als einmal zu spät.
    Unwillkürlich tastete sie jetzt nach der Dose in ihrer Anoraktasche.
    Der Mann sagte nichts. Moment mal, dachte Yvette. Kenne ich den nicht? Ist das nicht…?
    Sie kam nicht dazu, weiter nachzudenken. Denn plötzlich waren die Hunde da, die ebenso lautlos auftauchten wie der Mann. Hunde? Nein, das waren Wölfe! Aber die gab’s hier doch gar nicht!
    Yvette war verwirrt. Vielleicht hätte sie doch nicht so viel von dem Amaretto trinken sollen. Der Alkohol gaukelte ihr wohl dieses Bild vor! Sie brauchte bloß wieder in die Pedalen zu treten und durch die Halluzination hindurchzufahren!
    Das tat sie dann auch.
    Sie kam genau zwei Meter weit, dann hatten die grauen Schatten sie erreicht.
    ***
    Da war dieser Traum. Auf vier kräftigen Beinen durch die Nacht hetzen, hechelnd ins Rudel eingebunden und seinen Gesetzen unterworfen, vom Leitwolf geführt. Der Geruch von Menschen, weiches Fleisch unter spitzen Zähnen, warmes Blut. Und ein großer Hunger, der vorübergehend gestillt wurde.
    Mit einem wilden Schrei fuhr Yann-Daq Plouder aus dem Schlaf hoch.
    Er brauchte eine Weile, bis er begriff, daß er sich in seinem eigenen Bett befand. In seinem eigenen Haus. Nicht in einer Höhle, zusammen mit anderen Angehörigen des Rudels.
    Von draußen fiel das Mondlicht durchs Fensterglas herein. »Warum zum Teufel habe ich die Läden nicht geschlossen? Verkalke ich jetzt endgültig?« knurrte er tief aus seiner Kehle heraus wie ein hungriger Wolf.
    Er erhob sich und holte das Versäumte nach. Die Nachtluft war kalt, als sie seine Haut streifte, und für einen Moment sah er verwundert an sich herunter und fragte sich, was mit seinem Pelz geschehen war; litt er neuerdings unter derart starkem Haarausfall?
    Aber dann schüttelte er den Kopf. Er war ja immer noch nicht richtig wach! Steckte offenbar immer noch in diesem verdammten Alptraum!
    Ich muß jetzt eine Weile wachbleiben, sagte er sich. Sonst gleite ich sofort wieder in den Traum

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