0491 - Die Wolfshexe
ihm vor.
Er griff nach ihren Händen. »Miri, ich kann vorher niemanden fragen. Sie würden mich entweder auslachen oder vor mir fliehen, um mir bei der nächsten Gelegenheit aufzulauern und mich zu erschlagen! Das kannst du auch nicht wollen, Miri. Ich suche sie mir auch sehr sorgfältig aus.«
»Und warum wolltest du ausgerechnet ihn? Er ist ein Jäger, Vater!«
Mathieu lächelte dünn. »Eben deshalb. Er machte öffentlich Andeutungen. Deshalb dachte ich, es sei besser, ihn zu erwählen. Er müßte danach seine Bemerkungen widerrufen und abschwächen. Nur er könnte das wirklich wirksam tun. Er hat ein paar Leute zu neugierig gemacht. Hätte ich ihn getötet, wäre das für die Neugierigen eine Bestätigung gewesen.«
»Aber wer würde denn dabei an dich denken?«
»Es reicht schon, wenn sie an Wesen meiner Art denken«, erwiderte Larchant. »Aber nun mußtest ausgerechnet du ihn retten. Nun, es ist dein Wille, und du weißt nur zu gut, daß ich dir keinen Wunsch abschlagen kann. Aber gerade deshalb solltest du dir überlegen, wohin deine Wünsche zielen. Es könnte - selbstzerstörerisch sein.«
»Wie meinst du das, Vater?« fragte sie verwundert.
Er preßte die Lippen zusammen und sah sie eindringlich an. »Miri, du darfst nie vergessen, wer und was du selbst bist! Niemals! Es gibt noch viel zu viele Menschen, die an die alten Mythen glauben und ihnen neues Feuer geben! Vergiß es nie! Diesmal hast du es wohl schon vergessen! Noch läßt es sich indessen wiedergutmachen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Laß ihn in Ruhe, Vater. Er gefällt mir. Ich will ihn haben.«
»Es gibt zweibeinige Spielzeuge genug auf dieser Welt«, sagte ihr Vater abfällig. »Warum muß es ausgerechnet ein Jäger sein? Noch dazu ein Wissender? Denkst du nicht an die Silberkugeln in seinem Gewehr?«
»Ich denke auch daran, daß der meneur des loups wieder auf Erden ist und in der Nähe wandelt.«
Mathieu Larchant stutzte. »Ich weiß«, sagte er. »Aber was erwartest du dir noch von ihm? Er hat dir gegeben, was er zu geben in der Lage war. Er wird dich kein zweites Mal gleich belohnen.«
»Vielleicht nicht mich«, sagte Mireille leise. »Vielleicht ihn.«
Mathieu erwiderte nichts mehr. Er sah, daß seine Tochter momentan einfach nicht ansprechbar war. Sie schien sich wahrhaftig in diesen Jäger verliebt zu haben, und Liebe macht blind. Aber daß dieser Funke gerade in jenem Moment übersprang, als sie an ihm vorbeifuhren und sie ihn am Straßenrand sah, das wollte und konnte er einfach nicht begreifen. Sie hatte ihn doch nur als ein dunkles Bündel Mensch gesehen, wußte überhaupt nichts von ihm. Wie konnte sie sich da so in ihn verlieben, daß sie ihren Vater bat, anzuhalten und den Mann zu retten?
Natürlich, daß er infiziert war, hatte sie selbst im Vorbeifahren spüren müssen. Aber alles andere…?
Er wünschte sich, dieser Narr wäre schon vorher erwacht und davongelaufen.
Oder Mireille wäre nicht ausgerechnet jetzt nach Landédon gekommen, um ihren Vater zu besuchen.
Jetzt wurde die ganze Sache nur unnötig kompliziert…
***
Yann-Daq stand in der offenen Haustür und lauschte in die Nacht hinaus. Wieder glaubte er das Heulen des Rudels zu vernehmen; diesmal näher denn je zuvor.
Unwillkürlich faßte er nach seinem Hals. Warum tue ich das? durchzuckte es ihn. Was ist mit meinem Hals? Er entsann sich, daß er heute schon mindestens einmal danach getastet hatte. Aber da war einfach nichts!
Warum er ausgerechnet in diesem Moment wieder an Mireille Larchant denken mußte, konnte er sich auch nicht erklären. Aber dann glaubte er im Süden, wo das Land etwas anstieg, die Schatten grauer Wölfe zu sehen!
»Du spinnst, Yann-Daq«, rief er sich selbst zur Ordnung. »Du siehst schon Dinge, die es gar nicht gibt!« Seine Haustür und der Weg aus dem Waldstreifen gingen nach Norden, er konnte überhaupt nicht sehen, was sich im Süden abspielte. Einmal, weil er in der falschen Richtung stand, und zum anderen - weil auf der Südseite hinter der kleinen Lichtung, die er für den Kräuter- und Gemüsegarten geschaffen hatte, Bäume aufragten.
Doch abermals vernahm er das typische Heulen. Ganz kurz nur, und danach blieb es still. Yann-Daq preßte die Lippen zusammen und kehrte ins Haus zurück. Er betrat das Bad und nahm per Spiegel seinen Hals in Augenschein. Doch was nicht zu fühlen war, war auch nicht zu sehen.
Nur einmal lächelte ihn Mireilles Gesicht aus dem Spiegel ganz kurz an.
Seine Hand berührte das Glas.
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