0491 - Ein Toter läuft um sein Leben
ruhig.
Der junge Mann beugte sich nach vorn. »Was ist, wenn sie jemand umgelegt haben?« fragte er aggressiv.
Der Wirt stellte die Biergläser vor uns hin. Sein Gesicht blieb unberührt. »Was geht dich das an?«
»Ich gehe rüber und sehe nach, was los ist!« meinte der junge Mann. Aber er unternahm nichts, um die Worte in die Tat umzusetzen. Er blickte mir in die Augen. »Zum Teufel damit!« sagte er wütend. »Billy hat recht. Was geht es mich an? Sollen sie sich doch gegenseitig umbringen!« Er griff nach dem Glas und trank.
»So einfach ist das nicht«, sagte ich. »Was ist, wenn jemand verletzt wurde und Hilfe braucht?«
»Der alte Weston wird ein paar Zielübungen gemacht haben«, meinte der Wirt.
»Zielübungen!« höhnte der junge Mann. »Während sein Laden geöffnet ist?«
»War denn jemand drin?« fragte der Wirt.
»Ich habe niemand gesehen. Wahrscheinlich ist er in der Wohnung«, meinte der junge Bursche. Er blickte mich erneut an. »Warum flitzen Sie nicht mal rüber, um nachzusehen? Sie kennt hier niemand. Sie brauchen sich nicht für ihre Neugierde zu entschuldigen. In dieser Straße herrschen nämlich besondere Gesetze…«
»Halte den Mund, Chap!« knurrte der Wirt. »Niemand ist scharf auf deine Ansichten!«
Ich legte die Stirn in Falten. »Man hat mich gerade aus dem Knast entlassen. Wenn sie mich im Zusammenhang mit einem Verbrechen schnappen, gibt es für mich Ärger, das steht fest.« Ich rutschte von dem Hocker. »Aber ich gehe trotzdem mal ‘rüber. Ihr könnt ja schlimmstenfalls bezeugen, daß ich hier war, als die Schüsse fielen!«
»Moment mal!« meinte der Wirt. »Sie haben das Bier noch nicht bezahlt!«
»Keine Angst, ich komme wieder«, sagte ich und verließ das Lokal. Ich bemerkte sofort, daß der flaschengrüne Wagen verschwunden war. Eine Minute später betrat ich Westons Laden.
Die Verbindungstür stand halb offen. Weston war nicht zu sehen. »Hallo?« rief ich. Niemand antwortete. Ich ging um den Tresen herum und betrat den Nebenraum.
Donald Weston lag vor der Tür zum Wohnzimmer.
Er lag auf dem Rücken. Sein rechtes Bein war leicht angewinkelt, die Arme ruhten dicht am Körper. Seine Augen waren weit geöffnet. In ihnen stand die glasige Starre des Todes.
***
Ich stand ganz still und holte tief Luft.
Meine Blicke huschten durch den Raum. Ich sah die Stapel der Wellpappkartons mit dem Aufdruck bekannter Zigarettenmarken, den alten Schreibtisch und den durch eine Riesenmuschel beschwerten Haufen Rechnungen. Aber nichts, was auf eine Spur des Mörders hinwies. Nichts außer dem kleinen häßlichen Loch in Westons Schläfe.
Ich beugte mich über ihn. Die Rauchränder verrieten, daß der Schuß aus einer Entfernung von etwa anderthalb Yard abgegeben worden war. Weston mußte sofort tot gewesen sein. Ich blickte auf die Uhr, um die Tatzeit zu rekonstruieren. Der junge Mann war mit seiner Nachricht um siebzehn Uhr fünfzig in das Kellerlokal gestürmt; es war anzunehmen, daß zwischen seinem Auftauchen und den Schüssen höchstens eine Viertelminute verstrichen sein konnte.
Ich dachte an den jungen Lindsay.
Was hatte er hier getan, und wie lange hatte er sich in dem Laden aufgehalten? Ich mußte auch an das jun'ge Mädchen und den flaschengrünen Wagen denken. Vor allem aber versuchte ich mir über die Konsequenzen klarzuwerden, die sich aus der Entdeckung des Toten für mich und meine Rolle ergaben. Mein Entschluß war schnell gefaßt. Ich mußte meiner Rolle als Jack Fulton treu bleiben.
Es war möglich und auch wahrscheinlich, daß Jack Fulton in den nächsten Stunden und Tagen eine Menge Dinge beobachten oder hören würde, die zur Aufklärung des Mordes beitragen konnten. Die einzige Schwierigkeit bestand darin, die Klippen zu umschiffen, die aus der notwendig werdenden Benachrichtigung der Mordkommission entstanden.
Ich trat an das Telefon und umwickelte den Hörer mit einem Taschentuch. Dann wählte ich die Nummer des Morddezernates. Lieutenant Harper meldete sich. Er war ein alter Bekannter von mir. Ich sagte ihm, wo ich war und was sich in Westons Wohnung ereignet hatte.
»Ich bin in dieser Straße unter einem Decknamen abgestiegen«, fügte ich hinzu. »Phil kann Ihnen genau erklären, warum. Es ist wichtig, daß hier noch keiner meine wahre Identität erfährt. Geben Sie also bitte die Parole aus, Sie wären durch einen anonymen Anruf an den Tatort gerufen worden. Ich werde hier die gleiche Version verbreiten.«
»Okay«, sagte der Lieutenant.
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