0492 - Dem Henker gestohlen
telefoniert. Er hatte mich um meine Hilfe gebeten. Mitten im Gespräch war er von unbekannten Gegnern überrascht worden. Man hatte auf ihn geschossen. Er hatte das Gespräch abgebrochen. Und dann war ein anderer Mann ans Telefon gekommen. Der erste war weg.
Wie in einem Film rasten mir diese Gedanken durch den Kopf. Ich fand schnell eine Schlußfolgerung: Kidnapping!
Mit drei großen Schritten war ich wieder am Jaguar. Erst jetzt drehte ich den Zündschlüssel herum und ließ das leise Bullern des starken Motors ausklingen. Danach griff ich zum Funksprechgerät und rief die Zentrale der City Police.
Fünf Minuten später waren ein Lieutenant und ein Sergeant von der Kriminalabteilung bei mir. Ein Streifenwagen mit drei uniformierten Beamten folgte ihnen. Ich gab den Beamten die notwendigen Informationen und bat sie, alle Spuren zu sichern.
»Nachricht an Sie?« fragte der Lieutenant.
»Ja«, sagte ich. »Unterrichten Sie mich darüber, was Sie herausgefunden haben. Solange die 24-Stunden-Frist noch nicht herum ist oder keine anderen Anzeichen darüber vorliegen, daß jemand über die Staatsgrenze verschleppt wurde, will ich nicht allein entscheiden, ob sich das FBI einschalten soll. Behandeln Sie es vorerst als Ihren Fall, Lieutenant.«
»In Ordnung, Sir!« bestätigte er.
Ich ging zu meinem Wagen zurück, als mich der Lieutenant noch einmal anrief. »Wie war das mit der Stimme, die Ihnen bekannt vorkam? Sollen wir da schon einmal nachhaken?«
Einen Moment überlegte ich. »Nein«, sagte ich dann, »das muß doch eine Täuschung gewesen sein. Der Mann, an den ich dachte, kann nicht von hier aus angerufen haben. Und ich wäre wohl der letzte, den er anrufen würde.«
»Warum? Hat er schlechte Erfahrungen mit Ihnen gemacht?« fragte der Lieutenant lächelnd.
»Ja«, sagte ich. »Er wurde wegen mehrfachen Mordes gesucht, und ich habe ihn in Hoboken in einer Kneipe festgenommen. Er wurde angeklagt. Sein Prozeß vor dem Schwurgericht war gestern oder ist heute.«
»Der hat bestimmt nicht angerufen«, bestätigte der Lieutenant.
***
»Du siehst so unausgeschlafen aus«, sagte Phil, als ich ihn am nächsten Morgen zum Dienst abholte. »Hast du etwa das New Yorker Nachtleben genossen?«
»Genau das«, antwortete ich und gähnte herzhaft. »In der Clinton Street gibt es eine neue Attraktion. Dort steht eine Telefonzelle mit besonderen Eigenschaften.«
»Fein«, sagte Phil. »Worin bestehen die besonderen Eigenschaften?«
Ich erzählte ihm, was mir letzte Nacht widerfahren war. »Ein Traum war es nicht«, fügte ich vorsichtshalber hinzu. »Den Scherbenhaufen und das 7,65-Geschoß habe ich mit eigenen Augen gesehen.«
»Vielleicht hast du das auch nur geträumt?«
»Wir können ja mal die City Police fragen«, schlug ich vor.
»Das tun wir«, nickte Phil. »Und wem gehört die Stimme, die du zu erkennen glaubtest?«
»Webster Touchney«, sagte ich kurz. Ich spürte, wie Phil mich von der Seite anschaute. »Du, Jerry«, sagte er nach einer Weile, »ich glaube, es ist besser, wenn wir die City Police nicht fragen. Die brauchen nicht zu wissen, daß du träumst. Webster Touchney hatte gestern seinen Prozeß, wegen der vier Morde, die er in den letzten zwei Jahren verübt hat. Wahrscheinlich hat er heute nacht mit seinem Todesurteil in der Tasche auch sehr schlecht geschlafen. Aber telefoniert hat er bestimmt nicht. Schon gar nicht mit dir.«
»Ich halte es ja auch für ausgeschlossen. Aber es war die gleiche Fistelstimme, Phil.«
»Unsinn«, sagte er. »Es gibt noch mehr Leute mit Fistelstimmen. Du warst todmüde, als du ins Bett gestiegen bist. Und im Unterbewußtsein hast du dich vermutlich mit Touchney beschäftigt. Du wußtest ja auch, däß er gestern seinen Prozeß hatte und…«
»Ich habe keine Sekunde an ihn gedacht, als ich im Bett lag. Im Gegenteil, ich wußte nicht einmal genau, wann sein Prozeß ist«, wehrte ich mich.
»Vorige Woche haben wir darüber gesprochen«, berichtigte Phil. »Du weißt ja, wie das mit dem Unterbewußtsein oft ist. Besonders dann, wenn man müde ist.«
»Mag sein«, gab ich zu. »Wir wollen mal sehen, was dieser Lieutenant von der Stadtpolizei uns geschickt hat.«
Wir kamen zum Distriktgebäude, und ich fuhr den Jaguar in den Hof. Durch den Hintereingang betraten wir das Haus. Phil schnüffelte. »Die könnten wirklich mal richtig lüften, man riecht den Aktenstaub«, meinte er wieder, wie schon so oft. Er hat etwas gegen Klimaanlagen und deren sogenannte frische
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