05 - Der Conquistador
eine solche Version passt der »Mann in Weiß« oder der »Weiße Ritter«, wie ihn Hernández nennt, nicht hinein. So unglaublich es auch klingt, es muss sich um eine übernatürliche Erscheinung handeln, deren Ursprung noch im Dunkeln liegt. Ich muss dringend die Übersetzung abschließen, vielleicht klären sich dann alle noch offenen Fragen. Nur müsste ich dazu mal ein wenig Zeit und Muße finden …
Die Scheinwerfer des Land-Rovers erhellten die Fahrbahn nur unzureichend. Tom vermutete, dass nur noch das Standlicht funktionierte, aber er wollte nicht anhalten und nachsehen, weil er die Reparatur sowieso nicht ausführen konnte.
Alejandro war an der Schulter seiner älteren Schwester eingeschlafen. Sein Schnarchen übertönte manchmal sogar das nicht gerade leise Motorengeräusch.
»Halt mal an, bitte!«, rief Maria Luisa plötzlich und tippte Tom auf die Schulter.
»Ist es dringend ?«, fragte er durch die Blume, ob sie ein menschliches Drängen verspürte.
»Mach schon!«
Er trat auf die Bremse und brachte den Geländewagen ohne Hast zum Stehen, doch Maria Luisa machte keine Anstalten, auszusteigen.
»Sieh mal nach rechts«, bat sie stattdessen. »Aber warte, bis die Wolkendecke aufreißt und der Mond scheint, sonst wirst du nicht erkennen können … Da! Schalt die Scheinwerfer aus, dann ist es besser zu sehen!«
Tom tat ihr den Gefallen. Nachdem sich seine Augen an das Zwielicht gewöhnt hatten, das der Dreiviertelmond verbreitete, entdeckte auch er, was Maria Luisas Aufmerksamkeit erregt hatte. »Sieht aus wie eine Kirche«, kommentierte er die typischen Umrisse mit dem spitz aufsteigenden Glockenturm. »Ich dachte, wir suchen ein Hotel.«
»Das wir aber so weit draußen auf dem Land nicht mehr finden werden. Hast du gemerkt, wie einsam es geworden ist? Wir sind das einzige Fahrzeug weit und breit, das noch unterwegs ist.«
Tom nickte. »Kann gut sein. Aber eine Kirche –«
»Lass uns hinfahren!«
» Warum?«
» Im Gegensatz zu dir habe ich einen Glauben«, erwiderte Maria Luisa unverhohlen vorwurfsvoll. Offenbar kannte sie ihn schon verdammt gut.
»Was willst du tun, wenn wir dort sind?«, fragte er wenig begeistert. »Den Küster bitten, uns auf den harten Holzbänken übernachten zu lassen? Da ziehe ich die Autositze vor.«
»Spar dir deine Worte!«, konterte sie resolut. »Ich habe für die Nacht lieber ein Dach über dem Kopf als einen Wagenhimmel. Und Jandro auch. Also: Licht an, und dann los. Wir halten Ausschau nach dem Weg, der in Richtung der Kirche führt!«
Unfaires Argument. Jandro ist sowieso immer deiner Meinung , dachte Tom, sagte aber nichts mehr, sondern fuhr wieder an. Wenige Minuten später tauchte die Kirche am Ende eines nicht asphaltierten Zufahrtsweges wieder vor ihnen auf. Trutzig und verlassen stand sie mitten in der Einöde. Im Scheinwerferlicht war zu erkennen, dass die Fenster mit Brettern vernagelt waren, als wollte man sie vor einem nahenden Hurrikan schützen. Sie hatten jedoch eine viel banalere Bedeutung.
»Die haben dichtgemacht, schon länger«, stellte Tom fest, bemüht, keinen süffisanten Unterton anklingen zu lassen.
»Ein Gotteshaus bleibt ein Gotteshaus. Immer«, hielt Maria Luisa dagegen, und es schien ihre aufrichtige Überzeugung zu sein.
Tom legte den Rückwärtsgang ein. »Okay, versuchen wir es woanders.«
Doch Maria Luisa ließ bereits den Beifahrersitz nach vorne klappen und beugte sich zur Tür vor, öffnete sie.
»Hey, was hast du vor?«
»Lassen wir doch einfach den lieben Gott entscheiden«, rief die junge Frau, während sie mit energischen Schritten den geschotterten Platz überquerte und auf die Tür der Kirche zuhielt.
Tom blickte kurz nach hinten, wo Alejandro weiter den Schlaf des Gerechten schlief, ohne sich stören zu lassen. Tom war nicht unglücklich darüber. Aber noch lieber hätte er selbst endlich ein Auge zu getan.
Er hebelte die Fahrertür auf und folgte Maria Luisa nach draußen. Das Scheinwerferlicht erhellte die Szene bei abgestelltem Motor. Lange würde die altersschwache Batterie das allerdings nicht mitmachen.
»Maria!«
Ohne sich zu ihm umzudrehen, sagte die junge Frau: »So hat mein Vater immer gerufen – nur Maria. Wenn er mal wieder nicht gut drauf war …«
Tom zerquetschte einen Fluch zwischen den Zähnen. Mit dem tyrannischen Álvaro Suárez verglichen zu werden, kratzte an seinem Ego, auch wenn es völlig ungerechtfertigt war – und Maria Luisa das genau wusste.
Na ja, oder eben gerade
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