05 - komplett
sich die Tür hinter ihm geschlossen, sah er Lady Sinclair auf sich zukommen. Sie trug ihren Sonnenschirm wie eine Lanze vor sich her. Als sie Charles erblickte, kräuselte sie die Lippen. Ihr Anblick erinnerte ihn an einen knurrenden Terrier.
„Guten Tag, Pelham“, sagte sie und durchbohrte ihn mit ihrem Blick.
„Guten Tag, Lady Sinclair. Ich hoffe, Sie sind wohlauf?“, grüßte er höflich.
Sie rümpfte die Nase. „So wohlauf, wie man es erwarten kann. Was führt Sie zu mir?“
Ihr mangelndes Taktgefühl innerlich verfluchend, antwortete er: „Ich kam nur kurz vorbei, um für Ihre Nichte ein Buch abzugeben. Wir sind uns in Larrimor’s Buchladen begegnet.“
Lady Sinclair kniff skeptisch die Augen zusammen. „Hm. Das sieht Ihnen gar nicht ähnlich. Hat Ihre Mutter Sie geschickt?“
Charles war seit seinem dreizehnten Lebensjahr nicht mehr errötet. Allerdings sorgte Lady Sinclairs unverblümte Art immer wieder dafür, dass er sich in ihrer Gegenwart wie ein Schuljunge vorkam. „Weswegen sollte mich meine Mutter zu Ihnen schicken?“
Lady Sinclair lachte auf. „Ah, dachten Sie etwa, nur Ihre Schwester müsse sich vor den Kuppeleiversuchen Ihrer Frau Mama in Acht nehmen, Junge? Ich kann mir gut vorstellen, warum Emma Sie geschickt hat.“
Nun verstand Charles, was sie andeuten wollte. Gut, wenn sie ihn wie einen grünen Jungen behandeln und verspotten wollte, konnte er sich getrost auch einen Scherz mit ihr erlauben. „Madam, wollen Sie damit etwa andeuten, was ich vermute?“
„Natürlich, mein Junge. Öffnen Sie die Augen!“
„Aber Lady Sinclair, bedenken Sie doch nur den Skandal. Sie könnten meine Mutter sein. Allerdings ...“, fuhr er schelmisch lächelnd fort, „... hat mich das Risiko, einen Skandal auszulösen, noch nie geschreckt.“
Sprachlos öffnete und schloss Lady Sinclair den Mund mehrere Male wie ein Fisch auf dem Trockenen. Charles lüpfte zufrieden seinen Hut und zog sich klugerweise zurück, ehe sie ihre Sprache wiedergefunden hatte.
7. KAPITEL
Beatrice war Lord Pelham im Laufe der Woche nicht wieder begegnet. Das bedeutete natürlich nicht, dass sie nicht an ihn dachte. Im Gegenteil, sie dachte sogar viel zu oft an ihn. Insgeheim verspürte sie sogar eine gewisse Enttäuschung, weil er sie nicht erneut aufsuchte. Sie hatte sich eitlerweise eingebildet, er wolle ihr Avancen machen. Falls dem aber tatsächlich so gewesen sein sollte, hatte er sich inzwischen offensichtlich anders entschieden und seine Aufmerksamkeit wohl längst einer anderen zugewandt. Bis zur Dinnerparty seiner Mutter würde er sie vermutlich ganz und gar vergessen haben. Sie musste sich also gar keine Sorgen machen.
Wäre es nicht unziemlich für eine Dame gewesen, hätte Beatrice gepfiffen. Es war ein warmer, sonniger Samstagmorgen. Tante Louisa ruhte noch, daher konnte sie sie auch nicht anweisen, im Haus zu bleiben. Ungehindert zog Beatrice ihre Stiefeletten an, nahm Edward, den English Setter ihrer Tante, an die Leine und spazierte zum Hyde Park.
Der Park lag auf der anderen Straßenseite, beschwingt schritt Beatrice voran. Diese Spaziergänge am frühen Morgen boten ihr die so gut wie einzige Gelegenheit, sich ein wenig Bewegung zu verschaffen und Zeit allein zu verbringen.
Sie schlenderte eine ruhige Allee mit in herrlichem Grün stehenden Bäumen entlang, als Edward plötzlich an der Leine zog und aufgeregt in den Büschen schnupperte.
Gleich darauf legte er ihr einen kleinen Ball zu Füßen und sah sie erwartungsvoll an.
„Soll ich ihn werfen?“ Beatrice schaute über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass sie allein war, ehe sie den Ball aufhob und Edward von der Leine ließ. „Gut, ich werfe ihn, aber du musst ihn zurückbringen, in Ordnung?“ Sie warf, Edward schoss davon und legte ihr kurz darauf den von Speichel tropfenden Ball erneut vor die Füße.
Angewidert sah Beatrice den Ball an, während Edward sie auffordernd anblickte. Sie seufzte. „Also schön, mir bleibt wohl nichts anderes übrig.“
Mit spitzen Fingern hob sie den Ball auf, um ihn erneut zu werfen. Er landete am Ufer des Sees, wo er umgehend im sumpfigen Wasser versank. Jaulend lief Edward am Seeufer hin und her.
„Du musst ihn holen, Edward“, sagte Beatrice. „Los, hol ihn dir, Eddie!“
Der Hund aber sah sie nur enttäuscht an. Also ging Beatrice zum Uferrand, überlegend, wie sie den Ball am besten aus dem Wasser fischte, ohne ihr Kleid zu ruinieren.
Als sie gerade hockend die Wassertiefe abwägte,
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