0500 - Der Dunkle Gral
schwankte auf ihn zu, dabei fiel der helle Strahl auf den Gral, der neben dem Verletzten stand.
Saunders wimmerte. Auf seiner Brust lag der helle Lichtkreis. Diesmal blendete er ihn nicht, als er den Blick hob und mir ins Gesicht schaute.
Die Lippen zuckten, der Mund zog sich schmerzerfüllt in die Breite, in den Augen sah ich Tränen.
»Verdammt, was hast du mit mir gemacht, du Hund?«
»Ich nichts«, erwiderte ich. »Die Schuld an deinem Schicksal trägst allein du, Saunders. Der Dunkle Gral ist nicht für jeden bestimmt. Erst recht nicht für Verräter, wie du einer bist, Saunders.«
»Er… er gehört mir!« keuchte er, bevor er anfing zu schluchzen und trotz seiner liegenden Haltung noch den Kopf schüttelte.
»Ich besitze ihn!«
»Meine Ahnen haben versucht…«
»Sie haben die falsche Seite gewählt. Man kann sich als Mensch nicht mit der Hölle oder deren Herrscher verbinden. Das geht nie gut.«
Er drehte seine Hände so, daß ich die Innenflächen sehen konnte. Sie sahen schlimm aus. Die magische Hitze des Grals hatte die Haut verbrannt. Sie wirkten klumpig. Ich sah das rohe Fleisch und auch das Blut. »Die gerechte Strafe, möglicherweise«, erklärte ich ihm. »Vielleicht wird es so allen ergehen, die versuchen, den Dunklen Gral zu bekommen. Auch Vincent van Akkeren.«
»Nein, nein!« röhrte er. »Der ist stärker als ich. Van Akkeren hat Macht über die Menschen. Er hat seine Zeichen gesetzt. In Garway, wo ihn niemand stoppen konnte. Die Familie Calf, sie…«
»Wird gerettet werden«, vollendete ich den Satz und bückte mich, um den Dunklen Gral aufzuheben.
Saunders beobachtete mich dabei. »Ersticken sollst du daran«, keuchte er. »Ersticken und krepieren!«
»Das glaube ich kaum.« Ich faßte ihn zärtlich an. »Mir geschieht nichts.«
»Wer bist du denn?«
»Derjenige, auf den der Gral gewartet hat. Vielleicht erkläre ich es dir einmal.«
»Fahr zur Hölle!« schrie er mich an.
»Da gefällt es mir nicht. Ich habe meine trüben Erfahrungen dort bereits sammeln können.« Mit diesen Sätzen und einem Nicken verabschiedete ich mich von ihm und ließ ihn allein.
Sein Fluchen begleitete mich noch bis zur Tür, aber das störte mich nicht. Ich schlich mich wie ein Dieb nach draußen und blieb im Schatten der Kirchenmauer stehen.
Sehen konnte ich nichts, aber ich hörte, daß sich Personen auf dem Friedhof aufhielten. Von diesem kleinen Gräberfeld her erreichten mich ihre Flüsterstimmen.
Die Nacht war für das Grauen wie geschaffen. Sehr düster, dementsprechend unheimlich. Dunkle Wolkenberge am Himmel, kaum Licht, weder von den Sternen noch von einem Halbmond, der sich hinter den Wolkenschleiern verkrochen hatte.
Aber auch die Tiere der Nacht hatten sich zurückgezogen. Nicht weit entfernt lag wie ein dunkler Kamm der Wald. Von dort vernahm ich ebenfalls keinerlei Geräusche. Weder das Schlagen eines Flügels noch das Huschen irgendwelcher Pfoten über den Boden. Auch kein Rascheln oder Zischeln, es blieb unnatürlich still.
Und es war warm.
Widerlich schwül. Die Luft roch nach einem Gewitter. Sie hatte sich mit Elektrizität aufgeladen. Ich spürte dies an meinen Haaren. In der Ferne tanzten Blitze am Himmel. Der Donner erreichte meine Ohren wenig später als dumpfes Grollen.
Ich hielt mich eng an der schmalen Kirchenwand. Das alte Gestein hatte Feuchtigkeit aufgesaugt. Es roch modrig. In den Spalten zwischen den Steinen wuchs das Moos weich wie Samt.
An der Ecke blieb ich stehen. Ich sah die Gestalt nicht, weil mir die Mauer noch den Blick verwehrte, aber ich spürte sie. Es war ein menschlicher Geruch, der meine Nase traf.
Schweißgeruch…
Ich hielt den Atem an. Hatte der andere mich vielleicht auch gerochen? Fünf, sechs Sekunden vergingen. Den Gral hielt ich unter meiner Kleidung verborgen.
Irgend etwas würde geschehen, die Zeit war einfach reif, aber so lange wollte ich nicht warten.
Ich schob mich noch um eine Winzigkeit vor, duckte mich dabei etwas und peilte um die Mauerkante.
Vor mir wuchs etwas Dunkles in die Höhe, der Rücken eines Mannes, eines Baphometh-Templers.
Was ihn gewarnt hatte, ob er mich auch gerochen hatte oder ob es etwas anderes gewesen war, konnte ich nicht sagen, jedenfalls drehte er sich plötzlich um.
Ich kam nicht einmal mehr dazu, einen Blick über den Friedhof zu werfen, denn der Templer entdeckte mich.
Ich war darauf gefaßt, er nicht.
Sein Gesicht nahm einen erstaunten und gleichzeitig erschreckten Ausdruck an. Er öffnete den
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