0500 - Die Quelle des Lebens
Gesicht und küßte sie.
»Das Leben endet nie«, sagte Patricia leise. »Es geht immer weiter, auf deine Weise oder auf meine. Wenn du dich in zweihundert Jahren noch an mich erinnerst, lebe ich auch in zweihundert Jahren noch - in dir. Vergiß mich nie, Bryont - Rhett!«
»Noch ist es nicht soweit«, erwiderte er. »Ich wünschte, wir hätten mehr Zeit füreinander gehabt als diese kurze Spanne.«
»Wir werden noch viel Zeit haben«, erwiderte sie. »Mein ganzes Leben lang, mein Sohn. Du wirst mich noch verwünschen, wenn ich versuche, dich zu einem halbwegs anständigen Menschen zu erziehen.«
Saris lächelte.
Er hielt ihre Hand. In diesem Augenblick fühlten Zamorra und Nicole, die ein paar Meter entfernt standen, eine innige Verschmelzung der beiden Geister, wie sie es bisher nur von sich selbst gekannt hatten. Zamorra empfand es wie ein Verbrechen des Schicksals, daß diese Verbindung schon bald durch die Erbfolge durchschnitten werden würde. Biologisch würde aus Mann und Frau Sohn und Mutter werden.
Er war froh, daß ihm selbst diese Art der Unsterblichkeit erspart geblieben war. Sie litten beide, der Lord wie die Lady.
Auch Zamorra schmerzte der bevorstehende Verlust. Wenn jemand überraschend starb, war es schon schlimm. Aber im voraus zu wissen, daß in kurzer Zeit ein lebloser Körper da sitzen oder liegen würde, wo eben noch ein lebendiger Mensch gewesen war, ein Freund -Zamorra sah sich um und vermißte den Butler und die Hebamme. Aber Mrs. McShield hatte wohl nur für einen Moment das Zimmer verlassen, um letzte Vorbereitungen zu treffen.
Gerade zuckte Patricia zusammen, verkrampfte sich. Sie stöhnte leise auf. Auch Nicole war längst unruhig geworden. Plötzlich trat der Butler ein.
Er lächelte den besorgten Lord beruhigend an und kam zu Zamorra und Nicole. »Es ist furchtbar«, flüsterte er.
»Was?« zischte Zamorra alarmiert und versuchte, sich dem Lord gegenüber nichts anmerken zu lassen, weil der trotz allem noch immer verteufelt gute Augen und Ohren hatte.
»Mistreß McShield«, sagte William spröde, »ist ausgerutscht, mit dem Kopf angeschlagen und bewußtlos. Vermutlich ist auch ihr linker Oberschenkel gebrochen. Ich habe den Notarzt informiert und auch Vertretung angefordert. Aber es wird über eine halbe Stunde dauern bis der Arzt eintrifft. Und die andere Hebamme braucht sicher eine ganze Stunde.«
»Das hat uns gerade noch gefehlt«, murmelte Zamorra.
Patricia stöhnte und bäumte sich auf. »Es geht los«, keuchte sie. »Es ist soweit, ich fühle es!«
Lord Saris’ Blick irrte durch den Raum. »McShield«, keuchte er. »Schnell!«
Aber Mrs. McShield konnte nicht mehr helfen…
***
Vergangenheit…
»Höllenspuk!«
Das Wort riß Zamorra hoch. Irritiert wandte er den Kopf. Er sah einen älteren Mann in seiner Nähe, der diese Verwünschung ausgesprochen hatte. Torre Gerret!
Er versuchte sich zu erinnern. Lord Saris hatte ihm - und Gerret - den Weg zur Quelle des Lebens zeigen wollen. Er hatte sie auf die Zimmerwand zugestoßen - und…
Und…?
Beide befanden sie sich in freiem Gelände, ohne zu wissen, wie sie dorthin gekommen waren. Und die Landschaft konnte Zamorra nicht gefallen. Sie war ein wenig hügelig, grasbewachsen, mit kahlen Bäumen bestanden, und im Hintergrund ragten Berge auf. Braun und gelblich war das Gras, dessen Halme nicht aufrecht standen, sondern schon knapp über der Wurzel wegkippten und damit verwelkt aussahen. Kahl waren die Äste der wenigen Bäume. Nicht ein einziges Blatt war zu finden, weder an den Zweigen noch auf dem Boden. Und wie schmutzigbraun das Wasser des kleinen Teiches war, an dessen Ufer Zamorra und Gerret standen!
Wenn dies wirklich die Quelle des Lebens darstellen sollte, dann war dieses Leben dermaßen morbide, daß Zamorra sich nicht vorstellen konnte, damit glücklich zu werden.
Ist denn das dein Ziel?
»Hast du was gesagt?« fragte im gleichen Moment Torre Gerret.
»Ruhe!« verlangte Zamorra und lauschte auf die lautlose Stimme, die er nur mit seinen Gedanken wahrgenommen hatte.
Hast du nur die Absicht, durch die Langlebigkeit glücklich zu werden? Sonst nichts?
»Wäre dieser Wunsch ein Fehler? Aber glücklich wird man nicht allein durch die Dauer seines Lebens, sondern durch das, was man aus diesem Leben macht!« stieß Zamorra impulsiv hervor.
»Auf geschenktes Glück kann ich verzichten, weil es schöner ist, Glück durch Macht zu schaffen, die man sich aufbaut! Und dazu braucht man viel Zeit«, kam es von
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