0504 - Lorna, die Löwenfrau
geträumt. Venedig hat ihn nicht umsonst in sein Stadtwappen genommen. Der Löwe von San Marco war schon immer ein Begriff, aber auch die Völker Afrikas verehrten ihn. Nur kannten sie ihn besser. Sie sind tief eingedrungen in seine Geheimnisse, in seine Seele. Der Löwe hat sich ihnen offenbart. Unter diesen Menschen gab es nur ganz wenige, die ihn völlig verstanden und seine Kraft übernehmen konnten. Ich kenne einen solchen Menschen, den mein Mann nicht akzeptieren wollte. Deshalb mußte er sterben.«
»Und Sie wird man verurteilen!«
»Glauben Sie wirklich daran, Ab? Habe ich Ihnen nicht bewiesen, wie leicht es für mich ist, den Menschen zu entkommen? Ich kann mich auf ihre Angst, auf ihre Unwissenheit und gleichzeitig noch auf ihren Unglauben verlassen. Drei Komponenten, die zusammenkommen und die immer auf meiner Seite stehen. Es gibt kein Zurück mehr, mein Freund. Sie sind von mir ausgesucht worden und werden die Dinge für mich erledigen, die ich will.«
»Was soll das sein?«
»Es sind gewisse Botengänge, die Sie für mich machen können, denn bis jetzt hat sich noch nicht viel ereignet.«
»Immerhin ist ein Mord geschehen.«
Lorna winkte ab. »Was ist ein Toter schon gegen meine großen Pläne, auch wenn der Tote mein eigener Mann gewesen ist? Wir stehen erst am Beginn, und ich würde Ihnen raten, Ab, sich bei mir einzuhängen. Steigen Sie mit ein. Es ist besser für Sie.«
»Ich kann nicht!«
»Wollen Sie lieber sterben?«
Ab Duncan senkte den Kopf. »Wenn es keine andere Möglichkeit gibt, dann ja.«
»Dummkopf.« Lorna erhob sich. »Schauen Sie sich mal hier um. Dieses Haus ist doch prächtig. Wer von Ihren jungen Kollegen besitzt das schon? Und so etwas wollen Sie aufgeben?«
»Ich habe es geschenkt bekommen.«
»Wer fragt danach?«
Ab Duncan ballte beide Hände. »Ich frage danach, Lorna. Ich habe diesen Beruf nicht umsonst gewählt. Ich fühle mich dem Recht verpflichtet, auch wenn ich Mörder und Mörderinnen verteidigen muß, wie es bei Ihnen der Fall ist.«
Lachend nahm Lorna wieder Platz. »Meine Güte, ein Mann mit Grundsätzen. So einen Menschen findet man heute selten.« Sie strich durch ihr Gesicht. Es sah so aus, als wollte sie sich dabei selbst streicheln. »Auch ich habe früher Grundsätze gehabt. Gütiger Himmel, was habe ich nicht alles für mich gewollt. Als Krankenschwester den Menschen helfen. Ja, ich bin zusammen mit meinem Mann nach Afrika gegangen. Er als Arzt, ich als Schwester. Da aber lernte ich Dinge kennen, die meine Grundsätze umgestoßen haben. Ich geriet in die Welt der Metaphysik. Ich sah Dinge, die ich sonst nie zu Gesicht bekommen hätte. Ich konnte mit meinen Sinnen schauen, verstehen Sie?«
»Nein!«
»Aber Sie müssen sich entscheiden.«
»Das habe ich bereits.«
Lorna legte den Kopf schief. »Auch gegen die Macht und den Einfluß?«
»Auch dagegen.«
»Dann ist Ihnen nicht mehr zu helfen. Tut mir leid.«
»Weshalb sind Sie überhaupt gekommen?« fragte Duncan.
»Weil ich mit Ihnen reden wollte. Ich habe doch gespürt, wie unsicher Sie bei dieser Vorverhandlung waren. Der Staatsanwalt hätte sie fertiggemacht. Ich kenne diese Unsicherheit aus eigener Erfahrung. Das ist jetzt vorbei. Heute bin ich sicher, heute weiß ich genau, was ich will, da gehe ich meinen Weg.«
»Mich haben Sie nicht überzeugen können, Lorna.«
»Sie gehen den falschen Weg!«
»Ist das nicht meine Angelegenheit?«
Lorna schaute ihn an. »Schon, es ist Ihre Angelegenheit.« Sie lachte plötzlich auf. »Irgendwie mag ich Sie, Ab. Und deshalb möchte ich auch nicht, daß Sie in den Tod gehen.«
Ab Duncan ahnte, worauf das Gespräch hinauslief. Trotzdem sagte er: »Ich habe nicht das Gefühl, in den Tod zu gehen, Lorna. Ich fühle mich sehr wohl.«
Die Frau schaute ihn aus ihren kalten Augen starr an. »Noch«, gab sie flüsternd zurück.
»Was meinen Sie damit?«
»Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, daß ich nur meinen Weg sehe, Ab. Ich habe mich für ihn entschieden und auch für Sie. Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich. Wissen Sie genau, was das bedeutet? Sie werden, wenn wir keine Partner sind, sterben. So einfach ist das. Ich verlasse dieses Haus als lebende Person, Sie bleiben hier zurück. Und zwar als Toter.«
Irgendwie war der Anwalt froh, daß Lorna endlich die Wahrheit gesagt hatte. Er senkte den Kopf und starrte seine Schuhspitzen an.
Die Farbe wich aus einem Gesicht. Sehr bald schon war von der Sonnenbräune nichts mehr zu sehen.
»Sie
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