051 - Die Sklaven des Vampirs
einen schweren Korb mit sich schleppend.
»Dort vorn ist das Grandhotel, Monsieur!«, sagte der Taxifahrer, kurbelte die Scheibe halb herunter und spuckte die Gauloise aus. »Soll ich vorfahren?«
Dorian lachte kurz. Der Gasthof Chez Simon war das größte Gebäude der rechten Straßenzeile, und es stand sogar ein Auto davor, ein klappriger Citroën-Lieferwagen.
»Ja, bitte. Aber fahren Sie nicht in jedes Schlagloch!«
Ein grauer Novembernebel lag über der Landschaft. Im Sommer mochte sie reizvoll sein, mit den Weinbergen und den Baumreihen, jetzt konnte man sich kaum eine trostlosere Gegend vorstellen. Das Taxi ruckte an und näherte sich dem Gasthof: Ein massives Haus mit vorspringendem Dach, die Wände voll uralter Reklametafeln, daneben die Zapfsäule einer kaum bekannten Treibstoffmarke.
Der Wagen hielt direkt vor der Tür.
»Danke«, sagte Dorian. »Wie viel?«
Der Fahrer las vom Taxameter die Summe ab. Dorian gab ihm ein gutes Trinkgeld und ließ sich vom Fahrer den Koffer in die Halle schleppen. Die kleinere Hebammentasche mit den kräftigen Verschlüssen trug er selbst.
Ein dicker, rotgesichtiger Mann kam aus der Gaststube und schob sich hinter die Theke. Er hatte zusammengekniffene Augen und eine dicke Nase, die ihn in eine lebende Reklame für französischen Landwein verwandelte.
Der Gastwirt musterte Dorian und knurrte dann: »Willkommen bei Simon! Ich bin Simon. Maurice Simon. Sind Sie einer der Herren, die bei mir Zimmer bestellt haben?«
»Ja. Von London aus. Ich bin Daniel Reed. Hoffentlich haben Sie ein nettes Zimmer für mich.«
Simon lachte. Er hatte eine Grabesstimme, aber er verwandelte sich, wenn er lachte, in den gemütlichen Typ des dicken Wirtes, der bester Gast seiner Küche und des Kellers war. »Oben, im ersten Stock. Geht auf die Straße hinaus. Das Wetter ist ja niederschmetternd, aber ich habe den Kamin schon angezündet. Es wird Ihnen gefallen, Monsieur.«
»Ich bin ganz sicher«, antwortete Dorian und trug sich ein. Die Hebammentasche stellte er zwischen seine Beine und hielt sie fest.
Simon rief laut: »Irene! Hierher!«
Der Eingang des Hotels war mit einem schäbigen, aber sauberen Teppich ausgelegt. Dorian sah sich um, aber er entdeckte nichts, was ihn störte. Eine große Glas-Doppeltür führte in den Gastraum, der offensichtlich sehr geräumig war. Aus dieser Richtung kam auch der Duft brennender Buchenscheite.
Die Treppenstufen knarrten, und ein etwa zwanzigjähriges Mädchen in einem viel zu großen Pullover und zu engen Jeans kam herunter.
»Nimm den Koffer! Zeige dem Herrn sein Zimmer!«, sagte Simon. Und zu Dorian gewandt erklärte er: »Eine Verwandte. Sie lernt bei mir, wie man ein Hotel führt.«
Irene war nicht hässlich, aber sie machte nicht das Geringste aus sich. Entweder hatte es ihr niemand gezeigt, oder es war ihr gleichgültig.
Ehe sie den Koffer anfassen konnte, hob ihn Dorian lächelnd hoch und sagte: »Danke. Bemühen Sie sich nicht! Ich möchte nur kurz auf mein Zimmer gehen. Ansonsten habe ich einen gewaltigen Hunger.«
»Kommen Sie! Zimmer 12.«
Sie ging vor ihm die Treppe hinauf. Dorian folgte über die knarrenden, durchgebogenen Stufen. Es ging links ab auf einen langen Gang mit vielen Nischen. Dort war es die vierte Tür links. Sie schwang geräuschlos auf, was Dorian wunderte. Er sah schon an der Tür, dass das Zimmer nicht vernachlässigt war; klein, aber gemütlich; sehr einfach, mit alten, massiv aussehenden Möbeln; sie schienen so alt wie das Haus zu sein.
»Das ist sehr hübsch«, sagte er und stellte den Koffer ab.
»Hier ist das Bad«, erklärte Irene und öffnete eine zweite Tür.
Der Raum war warm, aber die Mauern atmeten muffige Dünste aus.
»Tadellos!«, lobte er und drückte ihr einen Geldschein in die Hand. »Kann ich jetzt etwas essen?«
Es war früher Nachmittag.
»Selbstverständlich«, sagte Irene und zeigte beim Lächeln bemerkenswert schöne Zähne. »Für Gäste von Pierre Lacroix lässt sich immer etwas arrangieren. Ich bin ganz sicher.«
Dorian nickte ihr zu und schloss die Tür. Er öffnete das Fenster hinter den langen, rot karierten Leinenvorhängen etwas, und ein wenig von dem muffigen Geruch zog ab. Dann duschte er ausgiebig, zog sich um und sah auf die Uhr, bevor er seinen Koffer auspackte. Er hatte gesehen, dass zwei Schlüssel am Schlüsselbrett fehlten. Waren schon andere Weinkenner eingetroffen? Den Koffer mit einem Teil seiner Ausrüstung stellte er in den Schrank und schloss ihn ab. Dann
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