0511 - Fenster der Angst
als sie. Meine kleine Julia hat ihr gezeigt, wo es langging, als Wilma den gleichen Tod sterben mußte.«
»Ist Ihre Frau auch zurückgekehrt?«
»Wie meinst du das?«
»Das Gesicht der Julia Ashley haben wir gesehen, aber nicht das Ihrer Frau.«
»Sie soll auch vermodern.«
»Aber was will Julia? Können Sie mir das sagen? Was will sie überhaupt? Sie findet keine Ruhe. Ihr Geist findet keine Ruhe. Weshalb erscheint sie den Menschen?«
»Sie will sich rächen.«
Glenda lachte scharf. »An Ken Bright? Der war noch nicht geboren, als sie starb. Er hat ihr nichts getan. Er hat ihr nichts getan, verstehst du?« Die dunkelhaarige junge Frau erregte sich.
»Aber sein Vater!«
»Wieso?«
»Ich habe dir doch gesagt, daß alle jungen Männer in Rippon hinter ihr her waren, Chester Bright machte da keine Ausnahme. Auch er wollte sie besitzen.«
»Hat er sie angefaßt? Sie müssen es wissen, Perneil. Sie kannten Julia gut, sie hatte auch Vertrauen zu Ihnen.«
»Alle haben es versucht.«
»Hat es einer geschafft?«
»Sie war nicht mehr unschuldig.« Der Totengräber ließ die Worte in die Stille tropfen. »Ich war nicht der erste bei ihr. Vielleicht hat Chester Bright sie entjungfert. Jetzt wollte sie an seinem Sohn Rache nehmen, der die Geschichte von mir erfahren hat. Ich habe sie ihm bewußt erzählt, weil ich wußte, daß es noch eine endgültige Aufklärung geben muß. Ich wollte sie zudem vor meinem Tod noch erleben. Mir bleiben nicht mehr viele Tage. Wenn es vorbei ist, bin ich froh, dann will ich außerdem das Rätsel gelöst wissen. Sie hat mir damals nie erzählt, wer sich an ihr vergangen hat. Ja, für mich war es ein Vergehen, für sie auch, denn sie liebte nur mich. Man muß sie einfach mit Gewalt genommen haben, etwas anderes kann ich mir nicht vorstellen. Jetzt wird sie abrechnen. Auf ihre Art und Weise. Eigentlich hätte ich Ken sterben lassen sollen. Ich brachte es einfach nicht fertig, weil er mir irgendwie sympathisch war und in mir nicht das sah wie die anderen aus dem Dorf.«
Glenda konnte sich noch immer nicht vorstellen, daß ein normaler Mensch zu Dingen fähig war, wie Julia Ashley sie getan hatte. Darauf kam sie wieder zu sprechen. »War sie tatsächlich nur ein normales Kind, als Sie Julia bei sich aufnahmen?«
»Ich kenne ihre Eltern nicht.«
Glenda nickte nach dieser knappen Erwiderung. »Ich bin sicher, daß wir es herausfinden können.«
»Du und die beiden Männer?«
»Wer sonst?«
»Was wollen die Leute von Julia?«
Glenda hatte das Mißtrauen aus den Worten deutlich hervorgehört. Innerlich versteifte sie. »Sie sind gekommen, um einen Kollegen zu Grabe zu tragen. John Sinclair hat das Gesicht gesehen. Er wird Julia stellen.«
»Und was machen?«
»Ich kann es Ihnen nicht sagen.«
Der Totengräber stand auf. »Wenn er versucht, sie zu töten, wird es ihm schlecht ergehen.«
Glenda hatte die Drohung verstanden. Sie wich dem Blick des alten Mannes nicht aus. »Kann man jemand, der schon tot ist, überhaupt noch töten?« fragte sie.
»Er will den Geist vernichten. Das spüre ich. Ich merke es, ich fühle es. Ich bin sensibler als du glaubst, mein Kind. Ich werde darauf achten.«
»Sie kommen bald her.« Glenda schaute auf die Uhr. »Eigentlich müßten sie bereits hier sein.«
Perneil Davies nickte, bevor er auf das Fenster wies. »Schau nach draußen, Mädchen!«
»Wieso?«
»Schau hin.«
Das Fenster war ziemlich klein. Glenda ging zwei Schritte vor, um einen besseren Blickwinkel zu bekommen.
»Was siehst du dort?«
»Nicht viel, zumeist Nebel.«
Das stimmte auch. Die hellgrauen Schleier zogen geräuschlos durch den verwilderten Garten hinter dem alten Haus. Der Garten gehörte zum Grundstück. Er war ebensowenig in den letzten Jahren gepflegt worden wie das Haus selbst.
Das Unterholz wuchs dicht wie ein Dschungel. Die einzelnen Zweige und starren Arme waren miteinander verflochten, als wollten sie sich nicht mehr loslassen.
Die Bäume hatten die Hälfte des Laubs schon verloren. Wenn es nicht im hohen Gras verschwunden war, lag es auf dem verfilzten Unterholz, das wie in einer Waschküche stand.
Hinter Glenda bewegte sich der alte Totengräber. Er brauchte nicht viele Schritte zu gehen, um in die Nähe der jungen Frau zu gelangen. Sehr bald wehte sein Atem über Glendas Nacken, und sie nahm auch den widerlichen Gingeruch wahr.
»Was siehst du also?«
»Nichts.«
Jetzt faßte er sie an. Glenda schrak zusammen. Die Scheibe vor ihr war schmutzig.
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