0511 - Fenster der Angst
wie.« Perneil Davies schloß jetzt die Tür auf. Er drehte einen langen Schlüssel zweimal im Schloß. Danach fiel er fast gegen die Tür, um sie aufzudrücken.
Aus dem Haus drang Glenda ein Geruch entgegen, der von ihr kaum zu identifizieren war. Ein Konglomerat von Ausdünstungen, die sich beklemmend auf die Atemwege legten. Glenda atmete deshalb nur flach durch die Nase.
Hinter dem Totengräber betrat sie wirklich eine Bruchbude, in der seit den fünfziger Jahren nichts mehr verändert worden war.
Vielleicht hatte nicht einmal jemand geputzt.
Das Haus besaß zwar ein relativ hohes Dach, aber keine erste Etage. Jedenfalls sah Glenda keine Treppe, die nach oben führte. Dafür erkannte sie in der niedrigen Decke schwach den Umriß einer Luke.
Der Totengräber führte sie in den größten Raum. Von dort aus konnte Glenda in eine Küche schauen, die mehr einer Abstellkammer mit altem Bullerofen glich.
»Wo ist der Lichtschalter?« fragte sie.
Der alte Totengräber dreht sich schwerfällig um. »Es gibt ihn nicht«, sagte er. »Als der Ort Strom bekam, hat man mich bewußt vergessen. Damals war meine Frau schon tot. Man hat mich gemieden, verstehen Sie?«
»Natürlich.«
»Ich zünde die Kerzen an.« Er holte einen Leuchter aus Metall, in dem fünf Kerzen steckten, die sich kreisförmig verteilten. Glenda zündete die Dochte an.
»Es ist schmutzig hier«, sagte der Totengräber. »Einfach widerlich, das weiß ich. Aber es kommt auch keiner, der hier saubermachen will. Ich habe viele gefragt. Niemand will etwas damit zu tun haben. Sie haben mich gemieden. Sie hassen mich wie die Pest. Ich bin ein Ausgestoßener, das merke ich immer wieder.« Aus der Innentasche seines Mantels holte er eine Flasche Gin. »Das ist mir geblieben, Mädchen. Willst du einen Schluck haben?«
»Nein, danke.«
»Ich hätte nicht einmal ein Glas gehabt.« Er ließ sich in einen Sperrmüllsessel fallen, der unter der Sitzfläche noch mit alten Sprungfedern bestückt war. Sie quietschten, als sie den Druck spürten.
Glenda nahm auf einer Sessellehne Platz, die nur leicht unter ihr nachgab. Sie schaute zu, wie Davies trank. Gluckernd schüttete er den Gin in seine Kehle.
Nach dem Schluck stieß er auf, hielt die Flasche mit beiden Händen fest und nickte. »Ich wußte, daß er nicht tot ist. Ich wußte es genau. Alle, die nach ihr fragen, werden sterben, aber nicht richtig tot sein. Verstehst du, Mädchen?«
»Ja, sie werden scheintot.«
»Genau. Ich habe Ken gemocht und ihm auch geholfen. Er war freundlich zu mir. Der einzige aus diesem verfluchten Kaff, der mit mir geredet hat. Ein netter, junger Mann. Ich traute ihm sogar zu, den Spuk zu vernichten, obwohl ich ihn warnte. Aber er sprach von Männern, die ihm helfen wollten, von Kollegen. Sind das die beiden auf dem Friedhof gewesen?«
»In der Tat.«
»Es sind gute Leute.«
»Sie werden auch zu Ihnen kommen, Mr. Davies.«
Der Totengräber lachte bitter. »Mr. Davies, haben Sie gesagt. Wie sich das anhört. So hat mich seit Jahren niemand mehr angeredet. Um mich machen sie einen Bogen. Ich bekomme nur eine kleine Rente. Wenn ich das Geld abhole, gehen die anderen Kunden aus der Bank. Ich bekomme die Scheine mit spitzen Fingern überreicht. So kann es einem gehen, wenn man alt wird und in einen schrecklichen Verdacht gerät, der überhaupt nicht stimmt. Denn ich weiß, wie es wirklich gewesen ist.«
»Und wie war es tatsächlich?«
Pernell Davies stierte Glenda an. Er gab keine konkrete Antwort auf die Frage. Statt dessen sprach er über sich und nahm zuvor noch einen Schluck.
»Ich habe Angst, Mädchen. Eine tiefsitzende, schreckliche Angst. Sie war die Jahre über schon immer vorhanden, aber nie so schlimm gewesen wie in diesen Tagen.«
»Wovor fürchten Sie sich?«
»Vor Julias Rache und Rückkehr. Sie ist wieder da. Sie hat keine Ruhe finden können. Ihr Tod war einfach zu schrecklich und grausam gewesen.«
Glenda zog die Schultern hoch. Sie fröstelte trotz des Mantels, den sie trug. Im Haus war es kalt. »Wie ist sie gestorben?«
»Sie wurde ermordet!« flüsterte der Totengräber mit einer Stimme, die bei Glenda eine Gänsehaut hinterließ.
»Wer war ihr Mörder?«
Der alte Mann mußte lachen. »Mörder ist gut. Es war eine Mörderin. Eine Frau, meine Frau!« keuchte er. »Wilma Davies. Sie hat die Person, die wir als Pflegekind aufnahmen, umgebracht.« Er starrte versonnen auf die Ginflasche.
Glenda merkte, daß er noch etwas sagen wollte und wartete
Weitere Kostenlose Bücher