0511 - Fenster der Angst
diesen Tagen wurde es nie richtig hell. Da kam die Dunkelheit, ohne daß von ihr groß Kenntnis genommen wurde.
»Verdammt!« Boones Kollege fluchte, weil ihm ein Holzsplitter in den Finger gefahren war. Er hatte am Handgelenk eine kleine Wunde hinterlassen. Der Mann leckte das Blut ab.
»Was hast du denn?«
»Ich habe mich gestochen. Widerlich, diese Särge, dieses billige Zeug, verdammt.«
»Du wirst auch keinen besseren bekommen, wenn du den Löffel mal abgibst«, sagte Boone.
»Mir geben sie gar keinen.«
»Was dann?«
Boones Kollege grinste. »Ich kriege nur zwei Griffe angeschraubt…«
»Mehr hast du auch nicht verdient.«
»Halt die Klappe, Boone. Nimm lieber den Deckel und drück ihn drauf. Ich will hier nicht versauern.«
Boone wollte sich schon bücken, als dumpfe Schläge durch den kleinen Raum hallten. Von außen her hatte jemand an die Tür geschlagen.
Die beiden Männer schauten sich an. »Was ist das?« fragte Quiller, der dabei an seiner kleinen Wunde lutschte. Er war groß und hager.
»Weiß ich nicht. Der Pfarrer?«
»Nee!« Quiller schüttelte den Kopf. »Der hat hier nichts zu suchen. Er will später kommen.«
Wieder hämmerte jemand gegen die Tür. Dreimal wurde geschlagen. Danach klang eine Frauenstimme auf, die kaum von der eines Mannes zu unterscheiden war. »Macht auf, ihr beiden Kerle! Los, öffnet schon, ihr versoffenen Leichenfledderer!«
Quiller verzog das Gesicht, als hätte man ihm Zitronensaft in den Hals gekippt. »Weißt du, wer das ist?«
»Klar. Die Frau des Totengräbers. Die alte Wilma Davies.«
»Was kann die wollen?«
»Keine Ahnung!«
»Soll ich öffnen?«
Boone nickte. »Ja, geh hin.«
Quiller schlich auf die schmale Tür zu. Sie war auch nicht sehr hoch. Ein normal gewachsener Mensch mußte schon den Kopf einziehen, wenn er die Kammer betrat.
»Was willst du denn, Wilma?«
»Öffne, du Idiot!«
»Da kann ja jede kommen.«
»Ich will sie noch mal sehen. Hoffentlich habt ihr den Sarg noch nicht geschlossen.«
»Nein!«
»Dann laß mich endlich rein!«
Quiller warf Boone einen fragenden Blick zu. Erst als sein Kumpan nickte, öffnete er.
Für Wilma Davies ging es nicht schnell genug. Sie öffnete so kraftvoll, daß Quiller von ihr getroffen wurde. Er taumelte, wobei er sich lautstark darüber beschwerte.
»He, du alte Vettel, hast du es so eilig?«
»Halt die Klappe, du Hirnloser.«
Quiller lachte. »Mit dir möchte ich auch nicht verheiratet sein. Dein Mann hat nicht nur einen saumäßigen Beruf, sondern auch eine alte Schlampe zur Frau.«
Wilma fluchte nur. Sie nahm von Quiller und Boone keine Kenntnis. Mit trippelnden Schritten näherte sie sich dem Sarg.
Die Jüngste war sie nicht mehr. Hinzu kam die dunkle Kleidung, die sie noch trug. Der Rock reichte bis auf die Knöchel. Beim Oberteil wußte man nicht zu sagen, ob es sich dabei um ein Hemd oder um einen Pullover handelte. Das Kopftuch machte ihr Gesicht noch schmaler, als es eigentlich schon war. Ihre Haut sah verlebt aus, auch wenn sie jetzt durch das Laufen in der frischen, kühlen Luft leicht gerötet war. Der Mund wirkte verkniffen. Die kleinen Augen blickten lauernd und oft genug auch böse. Im Ort ging das Gerücht um, daß Wilma Davies eine der letzten Hexen war und ihren Mann Pernell nur deshalb geheiratet hatte, um nahe bei den Toten zu sein.
Neben dem Sarg blieb sie stehen.
»Und jetzt?« fragte Boone.
Wilma Davies gab keine Antwort. Ihr Blick war starr auf die Tote gerichtet. Dabei zuckten die Lippen. Es hatte den Anschein, als wollte sie mit dem Mädchen sprechen, sie ließ es bleiben, grinste nur scharf und rieb ihre Hände.
»Könnt ihr mich für einen Moment mit ihr allein lassen?« fragte sie zischelnd.
»Das geht nicht«, sagte Boone schnell.
Wilma zuckte hoch. »Weshalb nicht?«
»Weil es verboten ist. Wir sind für Julia Ashley verantwortlich. Wir haben dafür zu sorgen, daß sie in den Sarg gelegt wird.«
»Das habt ihr getan?«
»Ja, wir werden ihn noch schließen.«
Wilma lachte leise, bevor sie ihre rechte Hand in die Tasche des langen Rocks schob. Als Faust zog sie sie wieder hervor, öffnete sie, drehte die Hand so weit nach rechts, damit der Lichtschein auf die Fläche fallen konnte.
Schmutz hatte sich in die Haut gegraben, doch nicht so stark, als daß er das Funkeln hätte überdecken können.
Funkeln, wie Gold…
Quiller staunte. »Was ist das?«
Die Frau lächelte krächzend. »Gold, du Idiot. Das ist ein Goldstück, verstehst du?«
»Ja, das
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