0511 - Fenster der Angst
er. »Ich soll sterben. Sie will es so. Ich muß dahinsiechen, ich…«
Er redete nicht mehr weiter, und seine Haltung veränderte sich auch. War sie vorhin noch vorgebeugt gewesen, so straffte sie sich jetzt, und er schaute starr geradeaus. Glenda schloß daraus, daß Julia wieder Kontakt aufgenommen hatte.
Pernell Davies lauschte einige Sekunden den Worten, die nur er hören konnte. Danach nickte er, und seine Gesichtszüge entspannten sich wieder.
Für Glenda stand fest, daß beide einen Kompromiß gefunden hatten. Sie sah auch das heftige Nicken des Totengräbers. Sofort danach wandte sie sich ihm wieder zu. »Was ist geschehen, Mr. Davies?«
»Es klappt«, sagte dieser.
»Sie wird sich nicht an mir rächen. Sie hat mir verziehen.« Bei den letzten Worten bekam sein Gesicht einen glücklichen Ausdruck.
»Gütiger Himmel, sie hat mir verziehen. Begreifst du das, Glenda?«
»Ja, ich freue mich für Sie!«
»Freuen!« wiederholte er. Seine Stimme klang krächzend und auch irgendwie zynisch. »Wie kannst du dich freuen, Mädchen?«
»Daß Sie…«
Er winkte hart ab. »Vergiß es, Mädchen, vergiß es. Du brauchst dich nicht zu freuen. Julia will nicht auf ihre Rache verzichten, verstehst du? Sie hat es sich anders überlegt. Sie braucht ein Opfer, sie wird es auch bekommen, aber nicht mich.«
Er hatte länger gesprochen, das war nicht seine Art, aber Glenda wußte plötzlich Bescheid. Die letzten Worte hatten sie erwischt wie Lanzenstiche.
Plötzlich wurde sie bleich.
Der Alte lachte. »Na, begreifst du es?«
»Ja!« hauchte sie. »Ich habe begriffen. Es gibt wohl nur eine Person außer Ihnen in ihrer Nähe.«
»Sehr richtig. Das bist du!«
Er hatte den Satz gesprochen und lachte dabei. Es war ein fettes, ein widerliches Lachen, das scharf in Glendas Ohren klang und Schwindel bei ihr erzeugte.
Sie hatte Mühe, gerade zu stehen. Unwillkürlich stützte sie sich an der Rückenlehne eines Sessels ab. Für einen Moment verschwamm auch das Gesicht vor ihren Augen.
»Du wirst dich für mich opfern müssen!«
»Ich… ich … habe ihr nichts getan. Ich kenne Julia nicht.«
»Ken wurde ihr weggenommen, jetzt will sie dich. Mich läßt sie noch leben. Wir beide werden auch in der Zukunft weiter zusammenbleiben, das kann ich dir versprechen.« Er hüstelte. »Aber ich weiß auch sehr genau, daß dein Tod nicht schmerzen wird. Du wirst einfach einschlafen. So wie du dastehst. Ich weiß es von meiner Frau, ich weiß es von Ken. Es schmerzt nicht, wenn du in den scheintoten Zustand übergehen wirst. Wenn es soweit ist, werde ich gehen und dich begraben. Noch einmal nehme ich meine Schaufel in die Hand und steche ein Grab aus. Nur lege ich dich in keinen Sarg, weil ich keinen mehr besitze. Hast du alles verstanden?«
Glenda nickte automatisch.
»Dann nimm Abschied von mir. Von deinen Freunden schaffst du es nicht. Sieh mich als Ersatz für deine Freunde an.« Er lächelte breit und kalt. »Verstanden?«
»Nein, ich will nicht. Ich will…« Glenda wollte vorgehen. Sie schaffte den ersten Schritt, auch den zweiten, aber den setzte sie schon um die Hälfte langsamer.
Sie blieb stehen…
Plötzlich sah sie nur mehr das Gesicht. Es bewegte sich, es vergrößerte sich noch mehr. Wie aufgepumpt wirkte es, und aus den Augen strömte auch das Blut.
In Glendas Kopf begann es zu tosen. Sie vernahm das Rauschen, aber auch eine seichte Frauenstimme.
Julias Geist sprach zu ihr…
»Ich habe blutige Tränen weinen müssen. Das Blut der Unschuldigen, die vergewaltigt wurde. Als Symbol dafür weine ich diese Tränen, aber es sind auch Zeichen meiner Rache. Ich brauche die Befriedigung, ich will viele Menschen so erleben, wie ich gewesen bin. Hast du verstanden?«
Glenda war einfach nicht in der Lage, noch eine Antwort zu geben. Ihre Kehle saß zu. Atmen konnte sie nur unter großen Mühen.
Sie kam sich vor wie jemand, der von verschiedenen Seiten Druck spürte.
Noch konnte sie stehen. Allerdings war es ihr nicht mehr möglich, sich zu bewegen, und das Gesicht blieb auch nicht mehr in seiner Ruhelage.
Es schwebte auf sie zu…
Riesig, gewaltig. Augen, die Blut produzierten, das wiederum an den Wangen herabrann und sich in Höhe des Kinns verlief. Eine fruchtbare Fratze, ein Mund, der in seinen Winkeln zuckte, sich öffnete und anfing zu lächeln.
Lächeln für den Tod!
Glenda spürte ihren eigenen Herzschlag überdeutlich. Jedes Schlagen kam ihr vor wie ein dumpfer Glockenklang, der durch ihren Körper schwang.
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