0511 - Fenster der Angst
Nordseite.
Einsam stiefelte ich durch den Nebel. Das Grab, in dem Ken Bright hätte seine letzte Ruhestätte finden sollen, ließ ich rechts liegen.
Auch über diese Öffnung waberten die Schleier, ebenso wie über Grabsteine und Kreuze.
Das Gesicht ging mir nicht aus dem Sinn. Irgendwo mußte es sein.
Ich spürte es genau. Es mußte wissen, daß sich jemand näherte, der den alten Fluch brechen wollte.
Der alte Teil des Friedhofs sah an einigen Stellen verwildert aus.
Hier wurden die Gräber kaum noch gepflegt, nur das Grab der Julia Ashley stach hervor.
Es besaß tatsächlich die Form eines kleinen Hügels und war auch nicht zu übersehen.
Davor blieb ich stehen.
Gras und Unkraut bedeckten den Hügel. Kein Grabstein und erst recht kein christliches Symbol zeigten an, wer unter dieser feuchten Erde lag.
Ich hatte auch als Möglichkeit in Betracht gezogen, das Grab zu öffnen. Nur fehlte mir jetzt das Werkzeug. Mit bloßen Händen konnte ich es nicht aufschaufeln.
Was lag unter der Erde verborgen?
Eine verweste, vermoderte Gestalt? Oder war Julia Ashley aus bestimmten Gründen nicht verwest. Auch das lag im Bereich des Möglichen. Oft genug geschah dies, wenn der Teufel seine Hand mit im Spiel hatte.
Mein Kreuz lag frei.
Sofort stellte ich fest, daß mit dem Grab etwas nicht stimmte. Von ihm ging eine böse Aura aus, es strahlte.
Keine Strahlen, die ich körperlich spürte, es waren Energien, die das Kreuz spürte und sich auch dementsprechend verhielt. Es wandelte die Aura des Unheimlichen, des Bösen um in Wärme.
Das Metall lag angewärmt in meiner Hand. Ich beugte mich dem Hügelgrab entgegen, ließ dem Kreuz freie Bahn und legte es auf die Mitte des Grabes, die Silberkette dabei festhaltend.
Zunächst geschah nichts.
Dann passierte es urplötzlich. Mein Kreuz war stärker. Es riß eine Insel in die Macht des Bösen, und das Grab unter mir öffnete sich wie ein Vorhang, den jemand zur Seite geschoben hatte.
Mein Blick fiel in die Tiefe!
Ich sah die Trümmer des Sargs, der unter dem Druck der Erde zusammengebrochen war, und ich entdeckte dazwischen die verkrümmten schwarzen Knochen eines Skeletts.
Ein schwarzes Skelett. Wer verweste und vermoderte, von dem blieben zwar noch Knochen zurück, aber die waren oft genug weißgelb wie körniger Lehm oder Staub.
Dieser Rest zeigte eine schwarze, ölige Farbe, als wären die einzelnen Gebeine zusammengeklebt worden.
Da mußte der Teufel oder wer auch immer seine Hand mit im Spiel gehabt haben.
Die Knochen bewegten sich nicht. Ich hatte schon erlebt, daß sie anfingen zu tanzen und sich wieder zu einem Körper zusammensetzten. Hier zitterten sie nicht einmal.
Ich hatte gesehen, nur konnte ich nichts unternehmen. So kam ich einfach nicht weiter.
Aber ich spürte etwas.
Bisher waren die feuchten Nebeltücher von der Temperatur her gleichgeblieben.
Jetzt aber streifte sie mich mit einer Kälte, die kaum von dieser Welt stammen konnte.
Ich drehte mich hoch und fuhr herum.
Über mir schwebte das Gesicht der Julia Ashley. Nur war es jetzt verzogen, und aus den Augen quoll das Blut…
***
Der Totengräber hatte Sukos Worte vernommen. Er machte nicht mehr weiter. Das Schaufelblatt steckte noch im Lehmhaufen, er hielt auch den Stiel umklammert und fragte nur: »Was glaubst du nicht?«
»Daß du sie begräbst, Davies!«
»Ich muß es tun!«
»Nein!« entgegnete Suko scharf. »Du wirst sie nicht töten können, du nicht!«
»Wer bist du? Nicht dieser Blonde, dessen Stimme kenne ich. Sie ist anders!«
»Dann rate mal!«
»Der Asiate!«
»So ist es.«
Jetzt drehte sich Pernell Davies um. Im Grab stehend, starrte er Suko an. Sein Gesicht war schmutzig. Die braunen Lehmstreifen auf der grauen Haut ließ es aussehen wie eine Clownsmaske. Er sprach nicht mehr, nickte nur.
»Ist sie tot?« fragte Suko.
Perneil Davies warf einen Blick auf Glenda. »Ja und nein.«
»Scheintot also?«
»Richtig.«
»Wie war das möglich? Rede endlich! Wieso ist sie zu einer Scheintoten geworden?«
»Julia begegnete ihr. Ich mochte Glenda leiden, wirklich. Aber Julia wollte, daß sie stirbt. Ich sollte sie begraben. Sie braucht dies. Ich habe ihr ein Opfer entrissen. Für Ken Bright muß diese Frau sterben, dann ist wieder alles im Lot.«
»Und wo steckt deine Julia?«
»Der Nebel hat sie aufgenommen«, flüsterte der Mann. »Sie wird mit ihm wandern. Sie wird mit ihm über dem Friedhof schweben und ihr Grab besuchen. Alles ist anders geworden, alles…«
»Also
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