0515 - Der mordende Wald

dein Volk nicht mehr schützen.
    Die Zweige bewegten sich. Knochen schlugen gegeneinander. Der Druide hob die Hand.
    »Hast du nicht bedacht, daß ich dir jene, vor denen du mein Volk schützen willst, in deine Hand geben werde?«
    Der Wald lachte blätterrauschend. Armseliger Narr. Könnte dein Volk sich ihrer auch ohne meinen Schutz erwehren?
    »Vielleicht, Esus«, murmelte der Druide nachdenklich. »Vielleicht. Doch dann hätten wir alle keinen Nutzen.«
    Das ist allerdings wahr, Druide. Noch eine Nacht gebe ich dir. Dann will ich meine versprochenen Opfer. Es könnte sein, daß ich sie mir sonst aus deinem Volk hole.
    »Das, Gottheit«, sagte Caxatos, »wird nicht nötig sein.«
    Er wandte sich ab und schritt wieder davon. Das Klappern der baumelnden Skelette klang ihm in den Ohren.
    ***
    Wenn Zamorra sich außerhalb des weißmagisch abgeschirmten Bereichs von Château Montagne aufhielt, pflegte er Merlins Stern an einer silbernen Halskette vor der Brust zu tragen. Das Amulett, vor fast einem Jahrtausend vom Zauberer Merlin aus der Kraft einer entarteten Sonne geschaffen, schützte ihn vor schwarzmagischen Angriffen und war selbst auch eine Angriffswaffe gegen Dämonen oder Dämonische. Aber im Château brauchte Zamorra diesen Schutz natürlich nicht.
    In jenem Moment aber, in dem der Zauber des Gnoms zu wirken begann, erkannte Zamorra Gefahr, nur konnte er nicht sagen, woher diese Gefahr kam. Doch instinktiv suchte er Schutz.
    Er rief das Amulett. Zwischen der handtellergroßen Silberscheibe und Zamorra und Nicole bestand eine enge Verbindung. Der gedankliche, konzentriert ausgesandte Ruf bewirkte, daß das Amulett unverzüglich in der Hand des Rufenden auftauchte. Dabei spielten Hindernisse überhaupt keine und Entfernungen eine untergeordnete Rolle - Merlins Stern flog so schnell wie ein Gedanke selbst durch massive Felsgebirge. Die Entfernung durfte nur nicht zu groß sein - bisher war die kritische Reichweite noch nicht eindeutig fixiert worden, aber vermutlich war die Andromeda-Galaxis bereits entschieden zu weit entfernt, wie Nicole einmal spöttisch bemerkt hatte.
    Auch jetzt kam das Amulett.
    Aber war es nicht bereits zu spät?
    Der Zauber des Gnoms wirkte -versetzte ihn und die anderen in die Vergangenheit…
    Wirbelnde Strukturen faßten nicht nur nach Don Cristofero, sondern auch nach Zamorra und Nicole…
    Alles löste sich auf…
    Irgendwo waren die Menschen, und irgendwo war auch das Amulett… aber es vermochte nichts mehr zu verhindern oder zu blockieren…
    Irgend etwas, verdammt noch mal, ist wieder schiefgegangen! dachte Zamorra.
    Sie kamen an in einem absoluten Chaos.
    ***
    »Er spricht mit jemandem«, flüsterte Remus. »Aber da ist niemand zu sehen.«
    »Ein unsichtbares Wesen«, gab Gaius zurück. »Das ist Magie. Laß ihn uns töten, das ist besser, als uns auf verfluchte, gottlose Zauberei einzulassen!«
    Remus legte seinem Kameraden die Hand auf den Arm. »Warte«, sagte er. »Er ist ein sehr alter Mann. Vielleicht ist er senil. Sein Verstand ist nicht mehr in Ordnung, deshalb spricht er mit den Bäumen.«
    »Er ist ein Druide«, beharrte Gaius. »Und er hat Sena umgebracht.«
    Der Druide wandte sich um und schritt davon.
    »Jetzt«, stieß Gaius Milena hervor und durchbrach das Unterholz. Mit erhobenem Dolch griff er den Druiden an. Remus blieb nichts übrig, als ihm zu folgen und ihn zu unterstützen. Der Druide durfte keine Gelegenheit zum Schreien bekommen. Das helvetische Lager war zu nahe.
    Plötzlich zuckten violette Tentakel aus dem Nichts hervor. Sie umschlangen Gaius und rissen ihn in die Höhe. Der Druide wirbelte herum. Remus sprang ihn an, prallte aber mit etwas zusammen, das förmlich aus dem Nichts heraus auftauchte. Es blitzte. Jemand schrie; genau das, was Remus hatte vermeiden wollen. Es wimmelte plötzlich von Leuten, die einen Herzschlag vorher noch nicht hier gewesen waren. Sie waren aus dem Nichts gekommen.
    Magie!
    Remus reagierte instinktiv. Er gab den Plan auf, den Druiden zu fangen. Er mußte zusehen, daß er sein eigenes Leben rettete. Er sprang zurück, ergriff die Flucht. Weder schleuderte er dem Druiden den Dolch in die Brust, noch konnte er Gaius helfen, der in einer todbringenden Umschlingung zwei Mannslängen über ihm in den Bäumen hing und um sein Leben strampelte und kämpfte. Remus rannte davon.
    Erst, als er den Wald fast durchquert hatte, wurde er langsamer.
    Niemand verfolgte ihn.
    Es war wie ein bitterböser Traum. Und er glaubte immer noch, den