0515 - Der mordende Wald
Remus Tiberius. »Vielleicht ist es ein Trick. Warum sollte ein einziger Mann um diese Zeit in den Wald gehen? Sie haben Sena gefangen; sie müssen doch annehmen, daß noch mehr von uns hier sind. Da wäre es leichtsinnig, so ganz allein…«
»Eine Falle?« murmelte Gaius Milena. Jetzt war er es, der Ruhe bewahrte, während Remus seine Nervosität nicht mehr verbergen konnte. Er spähte durch das dichte Unterholz, das die beiden römischen Legionäre verbarg. »Laß mich sehen, was das für einer ist…«
Plötzlich erstarrte er. Seine Hand verkrampfte sich um den Dolchgriff.
»Was ist?« fragte Remus angespannt.
»Ah, die Götter sind mit mir«, flüsterte Gaius Milena. »Sie geben ihn in meine Hand… Remus, es ist der verfluchte Mörder, das Druidenschwein! Und er ist allein, wirklich allein!«
Er hob den Dolch, machte sich bereit, durch das Unterholz hervorzubrechen und den Kelten anzugreifen. Aber Remus hielt ihn zurück.
»Der Druide?« stieß er überrascht hervor. »Wirklich der Druide? Du bist sicher?«
»Ich sehe ihn«, sagte Gaius. »Mars gibt ihn in meine Hand.«
»Warte«, sagte Gaius. »Vielleicht ist es doch eine Falle.«
Sein Kamerad schüttelte den Kopf. »Die Druiden gehen meistens allein in den Wald. Die Eichen sind ihnen heilig.«
»Dummerweise gibt es hier keine Eichen«, sagte Remus. »Was also will er hier? Falls es keine Falle ist, sollten wir ihn gefangennehmen. Lebend nützt er uns mehr als tot. Er wäre eine willkommene Geisel. Der Centurio würde uns sicher belohnen.«
»Ich werde ihn töten«, sagte Gaius. »Für das, was er Sena angetan hat. Niemand wird mich daran hindern.«
»Denk doch nach«, bat Remus. »Er wäre nicht nur eine Geisel. Vielleicht könnten wir von ihm erfahren, was die Helvetier planen, ob sie weiterwandern zu Dumnorix und seinen Haeduern, oder ob sie aufgeben. Und wir könnten den Helvetiern drohen, daß wir den Druiden töten. Diese Leute sind ihnen wichtig. Sie brauchen nicht einmal zu kämpfen. Ich bin sicher, daß diese Barbaren alles tun würden, um ihn lebend zurückzubekommen.«
Gaius preßte die Lippen zusammen.
»Nun gut«, brachte er schließlich hervor. »Versuchen wir ihn lebend zu fangen. Aber er ist der Magie kundig. Wenn er versucht, uns mit Zauber zu überwinden, werde ich ihn töten.«
»Dann auf jeden Fall«, stimmte Remus zu, dem trotz seines kühnen Planes bei dieser Sache nicht ganz geheuer war. Immerhin hatten sie es nicht nur mit einem Gelehrten zu tun oder einem Priester, sondern mit einem Zauberpriester. Magie war etwas Unnatürliches, Erschreckendes.
Aber den Schritt zurück gab es jetzt nicht mehr.
***
»Er singt«, murmelte Nicole überrascht, während Zamorra unwillkürlich stehenblieb. »Er singt die Zaubersprüche… das ist es, Chef! Das Sinken. Früher hat er immer nur versucht, die Formeln zu sprechen.«
»Woher weißt du das?« fragte Zamorra.
»Er hat es mir gesagt, als wir zuletzt in Schottland Gelegenheit hatten, miteinander zu reden«, sagte Nicole. »Komm, laß die Süßigkeiten. Es wird gefährlich.«
Zamorra nickte. Sie hatte recht; der Zauber war eingeleitet und begann zu wirken. Sekundenlang spielte er mit dem Gedanken, die Papiertüte, in der sich die freundlichen Gaben befanden, zum Gnom hinüberzuwerfen, nahe genug, daß sie den Zeit-Transit mitmachen mußten. Aber das würde wohl nur die Konfiguration der aufgezeichneten Symbole stören.
Zu spät. Nun würde der Schwarze auf sein Abschiedsgeschenk verzichten müssen.
»Mein Gott, was für eine wundervolle Singstimme er hat«, flüsterte Nicole andächtig. »Hör dir das an, cheri. Klingt es nicht fantastisch, wunderschön? So ganz anders als die dumpfen Riten und das Gemurmel, was man sonst so hört…«
Plötzlich ahnte Zàmorra Gefahr.
Gefahr für sich und Nicole.
Und sie waren beide machtlos dagegen - oder…?
Zamorra rief das Amulett!
***
Du betrügst mich, rauschten die Blätter des Waldes.
»Das könnte ich nie, und du weißt es«, gab der Druide zurück.
Du hast mir Opfer versprochen, mehr als ich mir erhoffe. Wo sind sie? Ein Opfer hast du gebracht, aber nicht mir, sondern Taranis. Soll ich mich an der kalten Asche laben?
»Gewiß nicht«, stöhnte der Druide.
»Du mußt dich noch gedulden. Ich arbeite daran.«
Du versprichst es mir seit vielen Nächten. Seit euer Stamm hier sein Quartier bezog. Aber bislang wartete ich vergebens. Wahrlich, ich sage dir, der du dich Caxatos nennst: Ich warte noch eine Nacht. Danach werde ich
Weitere Kostenlose Bücher