0516 - Monster-Kirmes
dann wieder leiser. Schließlich vernahm er ein Zischen. In der Finsternis entstand eine kleine, rotgelbe Flammeninsel, die wanderte und sehr bald Nahrung an einem Kerzendocht fand.
Drei weitere Kerzen wurden angezündet. Sie bildeten die Basis für das nächste Licht.
In der Wand steckten zwei Fackeln. Sehr lange Stäbe, die wie schräge Arme hervorlugten. Das schwarze Pech an ihrer oberen Hälfte brannte sehr schnell, gab viel Licht und produzierte jede Menge Rauch, der jedoch nach oben, wo es einen Luftschacht geben mußte, abzog.
Zum erstenmal konnte Yakup Yalcinkaya seine Umgebung wahrnehmen. Es dauerte seine Zeit, bis sich die Augen, die sehr lange die tiefschwarze Dunkelheit gewöhnt gewesen waren, mit den neuen Lichtverhältnissen angefreundet hatten und Yakup ein Rundblick gestattet wurde.
Was er zu sehen bekam, hätte er nie für möglich gehalten. Es war einfach unbeschreiblich und schaurig.
Er befand sich in einem alten Gewölbe, dessen Wände aus dicken Steinen bestanden.
An einer Seite waren die Käfigstangen tief in den Boden eingelassen worden. An der gegenüberliegenden Seite jedoch sah er das kalte Grauen.
Dort schaukelten die Gehängten!
Fünf Körper hingen in alten Schlingen und pendelten mit ihren Füßen dicht über dem Boden.
Ihre Gesichter waren Yakup zugedreht. Grüne Gesichter, das war auch im Feuerschein zu erkennen. Die roten Augen dagegen bildeten einen harten Kontrast.
Der Chinese blieb zwischen Yakup und den Gehängten stehen. Er nahm seinen Topfhut ab, neigte den Kopf und grüßte seinen Gefangenen. »Darf ich dir meine Freunde vorstellen, Yakup? Sie brennen darauf, dich in ihren Kreis aufzunehmen…«
***
Ich hatte vor einiger Zeit mal mit einem Fall in Rumänien erlebt, wo sich auf einem Weihnachtsmarkt Nachzehrer ausgebreitet hatten.
An dieses Abenteuer mußte ich denken, als wir in Chinatown den Weihnachtsmarkt betraten, der so gar nichts mit dem in der europäischen Region gemein hatte.
Er war eben chinesisch, wenn auch teilweise mit amerikanischen Akzenten durchsetzt.
Wir hörten das Bimmeln bekannter Weihnachtslieder, aber das meist aus den nicht weit entfernt liegenden Geschäften, wo alles Mögliche verkauft wurde.
Es war uns gelungen, einen Parkplatz in der Nähe zu finden.
Chinesen sind gute Geschäftsleute. Die in der Nähe wohnenden vermieteten, sofern sie den Platz besaßen, ihre kleinen Höfe als Parkplätze. Zehn Dollar war ich losgeworden, dafür durfte der Wagen auch bis zur Tageswende stehenbleiben.
Trotzdem ein verdammt stolzer Preis.
Der Markt selbst zog sich nicht durch eine oder mehrere Straßen, er war auch auf einem Platz errichtet worden. Dort befand sich gewissermaßen das Zentrum und auch die zahlreichen Karussells und originellen Buden wie der Tunnel der Angst.
Die Dämmerung hatte noch nicht eingesetzt. Dennoch schoben sich zahlreiche Menschen durch die engen Gassen zwischen den Karussells, Verkaufsständen und Buden.
Über einem Weihnachtsmarkt, so wie ich ihn kenne, schwebt normalerweise ein bestimmter Duft: Gebratene Würstchen, gebrannte Mandeln, Lebkuchen, Tannenzweige. Das war hier nicht der Fall.
Ein ganz anderes Aroma zog in unsere Nasen. Für mich sehr fremd, wenn auch nicht unangenehm. Gewürze, Gesottenes, Rauch aus den Garküchen. Überall zischte und bruzzelte es. An einigen Ständen hingen die Enten oder Hühner frei zum Verkauf. Wir sahen ständig anders aus, denn auf die Beleuchtung hatten die Chinesen besonderen Wert gelegt. Leuchtende Girlanden hingen über den Wegen oder rahmten die Karussells ein, die meist von Kindern benutzt wurden.
Die Kleinen konnten auf feuerspeienden Drachen, Riesenschlangen oder anderen Fantasie-Geschöpfen der chinesischen Mythologie reiten.
Ali ging zwischen Suko und mir. Ich spürte seine innerliche Unruhe. »Geht es dir nicht gut?« fragte ich.
Er lachte auf. »Nein, ich bin nervös.«
»Fliegende Menschen haben wir noch nicht gesehen.«
Er schaute mich an. »Hoffentlich bekomme ich sie auch nicht zu Gesicht.«
»Ist deine Furcht so groß?«
»Ja, John, ja. Du kannst dir nicht vorstellen, was das für ein Gefühl war, als die Gestalt am Fenster erschien. Ich habe gedacht, sie würde durch die Scheibe hereinstürzen.«
»Das hat sie ja nicht getan.«
Je mehr wir uns dem Zentrum näherten, um so stärker wurde auch das Gedränge. Längst konnten wir nicht mehr nebeneinander hergehen. Suko marschierte vorn, Ali und ich blieben hinter ihm.
Auch von unserem Schatten, dem guten
Weitere Kostenlose Bücher