052 - Die Leichenkammer des Dr. Sarde
diese
Meldung. Und er zeigte sie seinem Herrn, Dr. Sarde, der in seiner Leichenkammer
mit einem neuen Experiment beschäftigt war.
Sarde las: Unbekannte Fremde
gestorben. Ein unbekanntes junges Mädchen im Alter von dreiundzwanzig Jahren
verstarb, wie wir erst jetzt erfahren, vor zwei Tagen in einem Pariser
Krankenhaus nach dem Genuss einer Überdosis LSD. Es war nicht möglich, die
Identität der Toten zu klären. Wie uns die Polizei mitteilte, soll es sich
jedoch um eine Person einer anderen Nationalität handeln, die mit einer Gruppe
umherziehender Jugendlicher an einem Haschischtrip durch den Orient
teilgenommen hatte. Die Gruppe hat inzwischen Frankreich wieder verlassen, ohne
dass es zu einer näheren Klärung gekommen ist. Nach der Gerichtsmedizinischen
Untersuchung gestern Abend wurde die Leiche zur Bestattung freigegeben. Auf
Kosten der Sozialkasse wird die Tote im Laufe des heutigen Nachmittags auf dem
kleinen Friedhof in Neuilly beigesetzt.
Er reichte die Zeitung achtlos an Paul zurück.
»Vielleicht sollten wir uns die Sache nicht entgehen lassen«, meinte er
beiläufig, während er sich wieder dem halbgefüllten Reagenzglas zuwandte, in
der er einen Zellenverband aufgelöst und mit einer von ihm entwickelten
Substanz versetzt hatte. Sarde vermutete, dass eine Wandlung mit Blanche vorging,
und seine Stirn zeigte Sorgenfalten. »Ich glaube, dass wir die nächste Zeit
mehr Material brauchen als zuvor.« Mit diesen Worten warf er aus den
Augenwinkeln heraus einen Blick auf die halb hinter dem schweren Vorhang
stehende Liege, auf der sich Michele Claudette befand. Sie schlief noch immer.
Sarde hatte ihr eine neue Betäubungsspritze gegeben. Spätestens heute Abend
jedoch, sobald er von Blanche Bescheid hatte, die um diese Stunde schon in
Alness war, würde er auch dieses Mädchen töten, um die Substanz aus der
Hirnanhangdrüse zu gewinnen.
Paul blätterte die Zeitung durch und studierte aufmerksam die
Todesanzeigen.
»Hier ist noch etwas«, sagte er leise. »Rene Clauch, 25 Jahre alt.
Bestattung heute Mittag um vierzehn Uhr. Auf dem Cimetière de Mountrouge.«
»Wir kümmern uns um beide Gräber«, meinte Sarde. »Bereite den Wagen darauf
vor! Und sieh dich auf den Friedhöfen unauffällig um! Wir können uns keine
Panne erlauben!«
●
Als der Sarg aus der Leichenhalle in den bereitstehenden Totenwagen
gebracht wurde, war ihm von außen nicht anzusehen, dass er einen besonderen
Inhalt verbarg.
Larry Brent ...
Ruhig und entspannt lag er in dem engen, von ihm selbstgewählten Gefängnis.
Links und rechts neben den Beinen lagen die beiden Sauerstoffflaschen, die mit
dem dünnen Schlauch, an dem die Atemmaske befestigt war, verbunden waren. Er
hatte die Maske auf der Brust liegen und konnte sie bequem greifen, wenn die
noch enthaltene Luft in dem Sarg verbraucht war.
Es war ein Tag, der geradezu für eine Beerdigung geschaffen schien. Die
Wolkendecke war seit dem frühen Morgen nicht aufgerissen. Ein leichter
Nieselregen fiel, und Larry hörte die stärker werdenden Regentropfen auf den
Sargdeckel fallen.
Er befand sich in absoluter Finsternis. Man hatte davon abgesehen, ihm eine
Lichtquelle zu montieren, um die Arbeiten so gering wie möglich zu halten.
Außerdem störte ihn das Dunkel nicht.
Gegen die Gefahr des Einschlafens war er gewappnet. Er hatte zwei starke
Aufputschtabletten genommen, um im entscheidenden Augenblick fit zu sein.
Würden sich die Erwartungen, die er in seinen Plan setzte, erfüllen? Erst
die nahe Zukunft konnte diese Frage beantworten.
Er bemerkte, wie die Totengräber seinen Sarg entgegennahmen. Er wankte, er
hatte das Gefühl, auf einem Wellenberg zu schwimmen. Und dann ließen sie ihn in
die Grube hinab.
Langsam und vorsichtig lockerten sich die Seile.
Dumpf tönte es durch den Sarg, als er festen Boden unter sich bekam, und
dumpf tönten die ersten Schaufeln der nassen, schweren Erde auf dem Sargdeckel.
X-RAY-3 presste die Lippen zusammen. Jetzt wurde es ernst. Er hatte sich
auf ein gefährliches Spiel eingelassen. Würde er es verlieren oder gewinnen?
Zwei Meter nasse Erde wurden über ihn geschaufelt. Nur eine zwei Zentimeter
dicke Holzplatte trennte ihn davon. Dann herrschte absolute Stille. Er hörte
nichts mehr.
Zwei Meter über ihm verließen die Totengräber und die ältliche Dame vom
Sozialamt, die der Bestattung der unbekannten, jungen Fremden beiwohnte, den
Begräbnisort.
Er lag direkt neben einer alten Weide, nur wenige Schritte von
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