0522 - Er kam aus dem Todesschloß
berührte. Mrs. French lächelte knapp und legte ihre Stirn in Falten, ansonsten ließ sie sich nichts anmerken. Normal sprach sie weiter. »Du bekommst ein schönes Zimmer. Es liegt in einem Haus, das mitten in einem Garten steht. Du wirst dich daran gewöhnen.«
»Kann ich auch Besuch bekommen?«
»Später bestimmt.«
»Wann ist später?«
»Das müssen wir mal sehen. Hast du denn Verwandte oder Freunde?«
Julie lächelte. »Vielleicht kommt John. Sie kennen ihn, Mrs. French?«
»Nun ja, ich kenne einige Männer, die mit Vornamen John heißen. Wen meinst du denn?«
»John Sinclair!«
Gilda French drückte ihren Oberkörper etwas zurück. »Ach so – ja, den Polizisten.«
»Richtig.«
»Da weiß ich leider nicht, ob er die Zeit findet, um zu dir zu kommen, Julie. Er ist immer sehr beschäftigt, verstehst du?«
»Ja, ich weiß, aber er hat gesagt, daß er mein Freund sei. Obwohl ich es nicht mehr glaube.« Die letzten Worte waren ihr schwergefallen, das war auch Gilda French nicht entgangen.
»Mag er dich nicht mehr?«
»Ich weiß es nicht genau. Ich denke daran, daß er es nie zugelassen hätte, daß dieser Mann und Sie mich entführen.«
Mrs. French tat erstaunt. »Entführen? Das ist doch unmöglich.«
»Nein, es ist nicht unmöglich. Ich wollte nicht. Sie haben mich gegen meinen Willen mitgenommen. Ich wäre gern in London geblieben. John Sinclair hätte schon etwas für mich gefunden.«
»Das glaube ich nicht.«
»Doch!«
Gilda fing an zu lachen. »Du bist gut, Kind. Schließlich war dein Freund John Sinclair damit einverstanden, daß wir dich mitnehmen. Er weiß genau, welche Dienste du uns erweisen kannst.«
»Dienste!« schrie Julie. »Ich kenne das Wort nicht. Ich will auch niemandem einen Dienst erweisen.« Sie setzte sich so hastig auf, daß die Frau erschrak. »Wem soll ich einen Dienst erweisen? Wem?« Julie hatte den Kopf gedreht und starrte Gilda an.
»Deinem Land, zum Beispiel!«
»Wieso?«
»Das kannst du jetzt noch nicht verstehen, Kind!«
Julie nickte. »Vielleicht haben Sie recht. Aber ich glaube Ihnen nicht, daß John Sinclair damit einverstanden war, daß Sie mich entführten. Nein, das kann ich Ihnen nicht glauben. Sie belügen mich, das ist es. Ja, Sie lügen!«
Gilda French schüttelte den Kopf. »Welchen Grund sollte ich gehabt haben, dich zu belügen?«
»Ich habe keine Ahnung, Mrs. French. Ich spürte nur, daß Sie mich belogen haben.«
Gilda French wußte, daß sie so nicht weiterkam. Das Mädchen war zu verstockt. Es hatte keinen Sinn, noch länger mit Julie reden zu wollen. Deshalb stand sie auf.
»Versuche zu schlafen, Julie. Wir werden morgen sehr früh aufstehen und weiterfahren.«
»Wohin genau?«
»Das wirst du schon sehen!«
Julie ballte ihre rechte Hand zur Faust. »In das Gefängnis, nicht wahr?«
»Nein!« Heftig drehte sich Gilda French um und lief mit eiligen Schritten zur Tür. Das Kind war ihr plötzlich unheimlich geworden.
Sie hatte noch einen Blick in Julies Augen werfen können, die sich verändert hatten. Die Pupillen waren nicht mehr so wie sonst. Sie hatten einen völligen anderen Glanz bekommen.
Mrs. French war nicht völlig eingeweiht worden. Sie besaß mehr die Funktion einer Krankenschwester, wenn auch in gehobener Position. Aber sie war darüber informiert, daß Julie Gladstone anders reagierte als die normalen Kinder. In ihr steckten Parakräfte, durch dessen Hilfe sie in den Kreislauf der Natur eingreifen konnte.
Erst auf dem Gang kam sie wieder zu sich und atmete heftig. Sie machte sich auch Vorwürfe, nicht auf die Fragen des Kindes genauer eingegangen zu sein. Vielleicht hätte sie sanfter reagieren sollen, besonders bei der Frage nach John Sinclair. Da hatte sie gelogen. In gewisser Weise war Julie auch entführt worden. Leute, die in höheren Positionen saßen, hatten dafür gesorgt.
Sie wollte wieder nach unten gehen, wo Cyril Conners wartete.
Auf der Treppe kam er ihr entgegen.
»Alles in Ordnung, Gilda?«
»Ja.«
Cyril Conners war ein Mann von ungefähr fünfzig Jahren. Er trug eine braune Hose und eine beige Jacke. Der dünne Rollkragenpullover besaß ebenfalls eine beige Farbe.
Die Brille besaß ein schwarzes Gestell. Hinter den Gläsern funkelten hellwache Augen die nun einen mißtrauischen Ausdruck bekommen hatten. »Tut mir leid, so ganz kann ich dir nicht glauben.«
»Wieso nicht?«
»Ich sehe es deinem Gesicht an.«
»Na ja, du hast recht.« Gilda French hob die Schultern. »Es gab gewisse
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