0527 - Der Grausame
uns unter knorrigen Ästen hinweg, brachen durch sperriges Unterholz, dessen nackte Arme oft genug mit Dornen versehen waren, die sich wie kleine Fingernägel in unsere Kleidung hakten.
Obwohl die Bäume ihr sommerliches Kleid vollends verloren hatten, gelang uns so gut wie kein Durchblick hoch zum Dach des Hügels. Die Natur versperrte uns die Sicht.
Der Gang blieb nicht gleichmäßig schräg. Manchmal war er sehr steil, schon fast wie eine Wand, so daß wir dort hinaufklettern mußten und uns an freiliegenden, starken Baumwurzeln festhielten, um uns überhaupt hochziehen zu können.
»Irgendwann einmal ist er zu Ende!« keuchte Lisa, als wir eine kurze Rast einlegten.
»Das glaube ich auch.«
Sie atmete schwer. »Bisher haben wir keinen Soldaten gesehen.«
»Rechnest du denn damit?«
»Ich weiß es nicht. Manchmal kontrollieren sie auch den Wald. In der Finsternis wird es auch für sie schwer werden.«
»Das bestimmt.« Ich schaute hoch zum Himmel und sah ihn kaum. Das Geäst der Bäume bildete mit den dunklen, tiefliegenden Wolken eine Einheit. Nur weiter oben glaubte ich einen Saum an Helligkeit zu sehen. Dort loderte das Feuer.
»Können wir gehen?«
Lisa strich ihr Haar zurück. Sie tat es mit einer natürlichen Geste.
Dennoch steckte in dieser Bewegung eine Erotik, wie sie manche Frau nicht einmal nach mehrmaligem Üben vor einem Spiegel schaffte.
»Oui«, sagte sie und lächelte mich an. Auch ein wenig Trauer las ich aus ihrem Blick.
»Was ist mit dir?«
»Ich spüre, John, daß du nicht zu uns gehörst. Du kommst nicht nur aus einem fremden Land und trägst einen fremd klingenden Namen, nein, du bist wie ein Mensch, der nicht in diese Zeit gehört. Als wärst du ein Besucher aus dem Himmel.«
Sie drückte sich so aus, wie sie es kannte. Die Begriffe All oder Planet waren ihr nicht bekannt, aber im Prinzip hatte sie recht. Es war tatsächlich so.
»Willst du mir keine Antwort geben?« fragte sie.
»Wozu? Du hast recht, Lisa. Wahrscheinlich stamme ich aus einer anderen Zeit.«
»Mehr möchte ich nicht fragen.« Sie ging einen sehr großen Schritt nach vorn und gab damit das Startzeichen.
Auch ich blieb nicht länger stehen. Zwei Drittel des Weges lagen nach meiner Schätzung hinter uns, das letzte würden wir auch noch schaffen.
Einmal erschreckten wir Vögel, die in den Baumästen geschlafen hatten. Sie stiegen hoch und verschwanden krächzend in der Dunkelheit. Lisa blieb sofort stehen. »Das ist nicht gut«, sagte sie leise.
»Wenn die Soldaten gute Augen haben, werden sie erkennen können, daß hier etwas nicht stimmt.«
»Es ist dunkel.«
»Glücklicherweise…« Sie ging weiter, diesmal auf allen vieren, weil die Strecke ziemlich steil geworden war. An den Wurzeln mußte auch ich mich festkrallen, ebenso an Ästen, aber wir kamen weiter.
Im Wald waren wir allein. Ich hörte keine fremden Laute, die Verfolger, wenn es überhaupt welche gab, hatten unsere Spur verloren.
Es dauerte nicht lange, bis sich der dichte Wald vor uns lichtete.
Lisa erklärte mir, daß er gerodet worden war, um Platz für das mächtige Schloß zu schaffen.
Die Lücken hatten sich vergrößert, unser Blick wurde freier. Ich sah bereits den zuckenden Widerschein des Feuers, der sogar nach den Wolken zu greifen schien.
Ich duckte mich jetzt tiefer. Auch Lisa sah gespannt aus. Noch deckte uns das Unterholz. Dies blieb auch, bis wir den Rand des Steilhangs erreicht hatten, wo wir erst einmal blieben, weil ich mir die Umgebung anschauen wollte.
Das Schloß kannte ich aus meiner Zeit. Ich wußte ja, wie es fertiggebaut aussah. Nun bekam ich es praktisch im Rohbau präsentiert, das stimmte auch nicht ganz, weil noch viel fehlte und von den Mauern nur Fragmente standen.
Aus dem Tal hatte es so ausgesehen, als würde nur ein Feuer brennen. Tatsächlich waren es drei Flammenstellen, die als großes Dreieck aufgestellt waren und dort flackerten, wo sich einmal der Schloßhof befinden würde.
Da zuerst die hinteren Mauern errichtet wurden, fiel unser Blick frei auf die Feuer.
Rechts von uns endete der offizielle Weg. Ich sah die Männer und Frauen aus dem Dorf die letzten Meter hochkeuchen. Die schwere Steinlast der Körper erdrückte sie fast. Sie sahen aus, als würden sie jeden Moment umfallen.
Wer schwankte oder sogar in den Knien einsank, bekam es mit den Soldaten zu tun.
Männer, die für Geld gekauft worden waren, dunkle Helme trugen und Felle über ihre Kleidung geworfen hatten, die sie gegen den hier
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