0527 - Der Tag der Kobra

aus!
    Sie verharrte an der Stelle, an der sie sich befand, beugte sich nur ruckartig vor und öffnete dabei den Mund. Und aus diesem schoß, wie von einem Katapult geschnellt, eine Messing-Kobra hervor, die nicht starr wie eine metallische Figur war, sondern äußerst beweglich.
    Tendyke sprang unwillkürlich zurück. Aber die Ausweichbewegung reichte nicht ganz. Die Schlange flog heran, erreichte ihn noch. Die Zähne schlugen in seine fransenbesetzte Lederjacke. Blitzschnell packte er zu, umfaßte mit der linken Hand den Schlangenkörper unmittelbar hinter dem Kopf, und mit der anderen Hand griff er so zu, daß er die Schlangenkiefer auseinanderbiegen konnte.
    Was bei einem Raubtier sicher geklappt hätte, funktionierte bei der Kobra nicht. Schlangen können ihren Unterkiefer aushaken - und im gleichen Moment konnte Tendyke keinen wirksamen Gegendruck mehr ausüben. Allerdings merkte der Ssacah-Ableger im gleichen Moment, daß er nur in Leder gebissen hatte, und ließ von selbst los. Mit einer Kraftentfaltung, die Tendyke nicht erwartet hatte, wickelte sich der Schlangenleib um seinen linken Unterarm und das Handgelenk, zog sich blitzschnell zusammen und versuchte ihm die Arm- und Gelenkknochen zu zerbrechen. Tendyke war mit einem raschen Sprung an der Wand und schmetterte den Schlangenkopf mit aller Kraft dagegen. Aber der verhärtete sich in Sekundenschnelle zu Messing und überstand den mörderischen Aufprall. Statt dessen bewirkte diese Bewegung um ein Haar das, was der Ssacah-Ableger eigentlich bezweckte - Tendyke hätte sich fast das Handgelenk gebrochen. Nur weil der Rest des spontan verhärteten Schlangenkörpers wie eine Art Schutzumwicklung oder spiralige Schiene wirkte, blieb es bei einem wilden, stechenden Schmerz.
    Im gleichen Moment, als Tendyke den Rückschwung durchführte, wurde die Kobra wieder elastisch. Tendyke reagierte instinktiv, er ließ sich aus der Bewegung heraus fallen, verstärkte den Armschwung noch und brachte es diesmal fertig, den gerade wieder »weich« gewordenen Kobrakopf gegen die Schreibtischkante zu hämmern. Holz splitterte. Der Schlangenkörper entspannte sich, löste die Umschlingung spannte sich, löste die Umschlingung des Armes.
    Sofort rollte Tendyke sich in Gegenrichtung fort und wollte wieder aufspringen. Aber da griff die Inderin ein. Rajnee hatte sich ihm bereits während seines Abwehrversuches weiter genähert, und jetzt war sie mit einem raschen Sprung endgültig bei ihm, ehe er sich wieder erheben konnte, und setzte ihm den Fuß erst gegen die Brust, um ihn auf den Boden zurückzuwerfen, und dann so auf die Schulter, daß sie ihm das Schlüsselbein brechen konnte, wenn sie wollte.
    Aber sie tat es nicht - zumindest noch nicht jetzt sofort. Sie hielt ihn nur fest.
    »Warum wehren Sie sich noch dagegen, Sir?« fragte sie. »Ssacah läßt Ihnen keine andere Möglichkeit. Sie werden zu uns gehören, Mister Tendyke, und Sie werden sehen, daß es für uns alle die beste Lösung ist. Die zweitbeste wäre, Sie zu töten. Das wäre aber sicher nicht in Ssacahs Sinn. Ssacah wird wiederkehren und die Welt beherrschen, und dann werden Männer mit Ihren Talenten benötigt, um Ssacah bei der schwierigen Aufgabe, zu herrschen, und bei seinem Kampf gegen die Feinde zu unterstützen.«
    Tendyke sah, wie die Messing-Kobra, deren Schädel er gegen die Schreibtischkante geschlagen hatte, sich wieder bewegte. Sie schien nur benommen gewesen zu sein, war offensichtlich unverletzt geblieben und wandte sich ihm jetzt wieder zu! Aber das war noch nicht alles. Eine zweite Messing-Kobra kroch unter Ronald Cocks reglosem Körper hervor…
    Spätestens jetzt wurde es Tendyke klar, daß er die Gefahr falsch eingeschätzt hatte. Er selbst hatte lange nicht mehr mit dem Ssacah-Kult zu tun gehabt; vielleicht zu lange. Zamorras Warnung war berechtigt gewesen, und das, was Shado hinter der Frau gesehen haben wollte, mußte Ssacahs Schatten gewesen sein.
    Tendyke hatte einen Fehler begangen, indem er die Sache auf die leichte Schulter nahm. Jetzt bekam er die Quittung dafür präsentiert. Immer noch drückte Rajnee ihn mit ihrem Fuß gegen den Boden, während die beiden Ssacah-Ableger näher krochen.
    Sie waren robuster, als er sie von damals in Erinnerung hatte. Und eine von ihnen würde zubeißen, den Keim des Kobra-Dämons in ihn pflanzen und seine Lebensenergie aufsaugen. Eine dritte Messing-Kobra würde entstehen. Weitere Kraft für Ssacahs Wiederkehr!
    Der Abenteurer sah, wie plötzlich auch