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053 - Der steinerne Dämon

053 - Der steinerne Dämon

Titel: 053 - Der steinerne Dämon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John E. Muller
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ich Ihnen doch schon vorher gesagt. Sind Sie weggelaufen?“ Er zwinkerte. „War schwierig, wenn ich mir Ihre Kleidung anschaue. Sie sahen vorher eleganter aus, als Sie aus dem Zug stiegen.“
    „Sie hat Schlimmes erlebt“, erklärte Midnight Jones. „Bitte, lassen Sie sie in Ruhe!“
    Mißbilligend schaute der Stationsvorsteher auf die schulterlangen Haare und die Gitarre. „Sie brauchen mir nicht zu sagen, was ich tun soll, junger Mann.“
    Midnight lachte.
    „Graue Haare sind nicht immer ein Zeichen von Weisheit“, entgegnete er sanft.
    „Wie meinen Sie das?“ Der alte Mann hatte den Verdacht, daß man ihn auf den Arm nehmen wollte. „Der Zug kommt in einer halben Stunde“, sagte er kurz angebunden.
    „Wir wollen zwei Einzelfahrkarten nach London.“
    „Sie befinden sich in keiner guten Gesellschaft, Miß“, sagte der Stationsvorsteher grimmig.
    Lana schüttelte den Kopf. „O doch!“
    „Er hat lange Haare.“
    Offensichtlich war das für den Stationsvorsteher ein Charaktermerkmal.
    „Die hatte Moses auch.“
    „Da gibt es einen Unterschied. Er lebte in der Bibel.“
    Jones lächelte dünn. „Das stimmt. Ich frage mich nur, ob Sie ihn erkennen würden, wenn Sie ihn heute sähen.“
    „Ist er ein bißchen verrückt, Miß?“
    „Nein, aber er redet gern in Rätseln“, verteidigte Lana ihn.
    „Na, ich muß mich wieder um meine Station kümmern“, meinte der alte Eisenbahnangestellte.
    Er gab ihnen ihre Fahrkarten, und zählte ihr Geld zweimal brummend, als ob er fürchtete, es könnte sich in Luft auflösen. Dann schloß er die Kasse und lehnte sich drauf, bis sie auf den Bahnsteig hinausgegangen waren. Midnight und das Mädchen konnten ihn noch lange brummen hören. Sie verstanden nicht alles, aber die Hauptsache war wohl, daß er eine ganze Menge Dinge nicht mochte, unter anderem lange Haare und Mädchen in zerrissenen Kleidern, deren Figur zu sehen war.
    Die Reise nach London verlief ohne Zwischenfälle. Lana und Midnight nahmen vom Bahnhof bis Chelsea die Untergrundbahn und drängten sich dann durch die Menschenmassen, die über die schicken Straßen flanierten. Schließlich blieb Midnight vor einer Steintreppe, die in ein sechsstöckiges Haus führte, stehen. Sie gingen die Stufen hinauf, und Midnight klopfte an eine seitliche Tür .
    „Sally?“
    Seine Begrüßung klang fast wie ein Lied. Lana folgte ihm und fand sich in einem großen, hellen, grellfarbigen Atelier wieder. Es gab hier keine sanften Farben, keine beruhigenden Pastelltöne. Alles schien lebendig und viel, viel größer als in Wirklichkeit.
    Ein Mädchen in purpurroten Hosen und giftgrüner Bluse malte wie wild, vor einer Staffelei in der entferntesten Ecke des Studios stehend.
    Ohne sich umzudrehen, warf sie ihre langen kupferfarbenen Locken zurück und rief: „Setzt euch und nehmt euch was zu trinken! Ich komme sofort.“
    Sie hatte eine fröhliche Stimme. Ohne Sallys Gesicht sehen zu können, wußte Lana, daß sie die Künstlerin mögen würde. Der Geruch von Ölfarben und Terpentin hing in der Luft. An der einen Wand stand eine Couch, in einer Ecke lehnten einige Bilder. Eine bunt bemalte Cocktailbar nahm einen großen Teil der gegenüberliegenden Wand ein. Der restliche Raum war mit verschiedenen künstlerischen Utensilien gefüllt. Pinsel in allen Größen und Formen, ein halber Brotlaib, eine zerquetschte Knoblauchknolle, eine Chiantiflasche und ein großes Stück Wurst lagen auf einem Tisch in Sallys Reichweite.
    Ein endgültiger Pinselstrich, und sie drehte sich um. Ihr Gesicht war genauso, wie es sich Lana vorgestellt hatte. Sie sah gescheit, keck, herrlich unordentlich und vor allem aufregend aus. Es war das Gesicht einer sehr lebendigen Frau, nicht eines Kindes, das so tat, als sei es erwachsen, keinesfalls das Gesicht einer Sklavin der Konvention. Dies war eine richtige Frau.
    „Hallo! Es tut mir leid, daß ihr warten mußtet. Aber ich konnte nicht aufhören. Wenn ich eine Idee vergesse, ist sie für alle Zeiten weg.“ Sie klopfte sich lachend an den Kopf. „Wenn man so dumm ist wie ich, regnen die Ideen nicht so.“
    Sie stopfte den Pinsel in ein bereits überfülltes Glas mit Terpentin und alten Farbresten und führte sie zu der Cocktailbar.
    „So, und was bringt euch her?“
    „Unannehmlichkeiten“, sagte Midnight.
    Sally faßte nach ihm und küßte ihn impulsiv und unerwartet.
    „Es scheint mir eine Ewigkeit, seit du hier gewesen bist. Wo hast du dich so lange herumgetrieben?“
    „Überall“,

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