053 - Der steinerne Dämon
draußen.
„Wer ist da?“
„Henry.“
„Henry, Liebling, komm herein!“
Sally riß die Tür auf.
Henry Levine war Kunstkritiker. Er hatte Freunde, die Galerien besaßen. Sie hätte im Augenblick niemanden lieber gesehen, als den Mann, der jetzt ihr Atelier betrat. Selig nahm sie ihn bei der Hand, wie ein kleines Mädchen seinen Lieblingsonkel, dem es den Weihnachtsbaum zeigen will.
„Schau!“ sagte sie mit bebender Stimme.
„Mein Gott!“ stieß Levine hervor. „Hast du das gemalt?“
„Ja“, flüsterte sie tonlos.
Er schürzte die Lippen, berührte das Bild mit den Fingern und blies der Statue einen Kuß zu.
„Das ist wundervoll, Sally! Du hast es geschafft. Das ist geradezu überirdisch schön.“
Levine betrachtete das Bild aus allen Blickwinkeln. Er nahm seine Brille ab, setzte sie wieder auf und roch sogar an der Farbe.
„Wunderbar! Wunderbar!“
Er schwärmte zehn Minuten lang. Dann nahm er das Bild von der Staffelei.
„Was machst du da?“
Sally war so begeistert von ihrem eigenen Meisterstück, daß sie für seine Sicherheit fürchtete. „Es ist ja noch naß.“
„Das sehe ich, mein liebes Kind. Ich bin schließlich kein Anfänger.“
Levine war fast beleidigt, aber es klang ein gewisser Spott in seiner Stimme.
„Was willst du damit tun?“
„Das hier kommt auf dem schnellsten Weg in Armandes Galerie. Und zwar sofort. Ich werde mir ein Taxi nehmen und es selbst hinbringen. In einer Stunde hängt es dort im Fenster, mein liebes Mädchen. Und weißt du, zu welchem Preis wir es verkaufen?“
„Fünfzig Pfund?“ fragte sie hoffnungsvoll.
„Fünfzig?“
„Zehn“, sagte sie schwach.
„Du nimmst mich auf den Arm!“ klagte Henry. Er tanzte mit dem Bild herum wie mit einer Ballschönheit. „Ich werde tausend Pfund dafür verlangen, und glaube mir, in spätestens einer Woche ist es verkauft.“
„Ist das dein Ernst, Henry?“
„Natürlich ist das mein Ernst. Wann wäre ich je nicht ernst gewesen, wenn es sich um Kunst drehte?“
Er lächelte, tanzte die Stufen hinunter und hielt das erste vorbeikommende Taxi an.
Armande war ein alter verrunzelter Franzose und Kunstexperte. Er sah so vertrocknet aus wie die Trauben, die in den äußersten Ecken der Weingärten hängen. Sein Blick war aber immer noch klar und scharf. Durch seinen goldenen Kneifer sah er, daß er ein Bild unter Millionen hatte, ein Bild mit der unbeschreiblichen Ausstrahlung, die von dem Werk eines wirklich inspirierten Malers ausgeht.
„Formidable! C’est formidable!“
Er gebärdete sich genauso enthusiastisch wie Levine.
Inzwischen hatte sich die Galerie geleert. Der letzte Kunde ging. Armande wollte eben die Tür zuschließen, als drei Männer sie gewaltsam von außen aufdrückten.
Der alte Kunsthändler maulte ärgerlich: „Es tut mir leid, meine Herren, ich habe bereits geschlossen.“
„Ja, Sie haben geschlossen“, sagte eine fette Stimme gedämpft.
Armandes Ärger verwandelte sich in Furcht. Erst jetzt sah er die Masken, die die Männer aufhatten.
„Was wollen Sie von mir?“ flüsterte er ängstlich.
Der alte Galerieinhaber wich vor den drei vermummten Eindringlingen zurück.
„Haben Sie ein Hinterzimmer?“
„Ja, ich habe einige Räume hinter der Galerie.“
„Bringen Sie uns dorthin!“
Zögernd ging Armande voraus. Sie schlössen die Tür hinter sich und stießen ihn in einen Stuhl.
„Das Bild im Fenster – wo kommt es her?“
„Ich habe nicht die Angewohnheit, vertrauliche Informationen preiszugeben. Wenn Sie das Bild kaufen wollen, werde ich es Ihnen gern verkaufen – zu einem bestimmten Preis natürlich.“
„Wir wollen nicht kaufen. Wir brauchen Informationen.“. „Dann verschwenden Sie Ihre Zeit. Bitte, gehen Sie, bevor ich die Polizei rufe!“
Der hinter der Maske versteckte Mund lachte hämisch, und die Arme des alten Mannes wurden brutal auf den Rücken gedreht. Er gab einen leisen Schmerzensschrei von sich.
„Ihr Feiglinge!“ stieß er zwischen den Zähnen hervor. „Wenn ich dreißig Jahre jünger wäre, würde ich euch zusammenschlagen.“
„Das sind Sie aber nicht. Sie sind alt und schwach und stehen mit einem Fuß im Grab“, sagte sein Peiniger grausam. „Und jetzt reden Sie!“
Die nächsten Minuten wurden für den alten Mann zu einem Alptraum aus Schmerzen und Fragen. Als sie alle gewünschten Informationen hatten, hing sein schwacher Körper, dem Tode nahe, im Stuhl. Und als die letzte Gestalt die Galerie verließ,
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