0532 - Der Blutschwur
Druck der Erdmassen längst nicht mehr standhalten können.
Das Holz war gebrochen, die Erde nachgerutscht.
Die zuckenden Lichtspeere zweier Stablampen glitten in das Loch mit der aufgewühlten Erde und über das bleiche Restgebein hinweg.
Es traf auch die aufgeworfenen Lehmhügel zu beiden Seiten des Grabes.
»Ist es tief genug?«
»Ja.«
»Sollen wir auf den Dekan warten?« erkundigte sich ein junges Mädchen. Es nahm zum zweitenmal an diesem Ritual teil und zitterte äußerlich und auch im Innern.
Sie hieß Dunja, stammte vom Land und war mit ihren Eltern vor einem Jahr nach Zagreb gezogen, wo sie auch einen Platz an der Universität bekommen hatte. Dort studierte sie Geschichte und Archäologie. Die Finsteren waren auf sie aufmerksam geworden, weil sie sich auch für gewisse Hintergründe interessierte und genau wissen wollte, was es an metaphysischen Dingen auf der Welt gab.
Antworten hatte sie nicht bekommen, aber sie würde noch in dieser Nacht die Weihe empfangen. Nur wenn sie die besaß, war sie in den Kreis der Finsteren aufgenommen.
Jemand sprach sie an, weil sie zu sehr im Hintergrund stand und einen Fuß bereits in die Schräge des Hangs gestemmt hatte. »Komm her, Dunja, du bist heute auch an der Reihe.«
Zu ihr gesprochen hatte Goran. Er war nicht nur der älteste der Finsteren, schon 25, er war auch als eine Art von Stellvertreter vom Dekan Diavolo ausgesucht worden.
Goran war groß und breitschultrig. Er hatte sein langes Haar »gegelt«. Die einzelnen Strähnen wirkten wie steife Schlangen. Über der breiten Stirn war es zu einem Pony geschnitten. Die Gesichtszüge besaßen etwas Asiatisches.
Goran gehörte zu den gefährlichsten unter ihnen, und er war auch schwer bewaffnet. Auf der Gesichtshaut lag eine dunkelgraue Schicht aus Schminke, und selbst seine Fingernägel zeigten einen schwarzen, leicht glänzenden Lack.
Dunja fürchtete sich zwar nicht direkt vor ihm, sie spürte jedoch eine gewisse Beklemmung, als sie seinem Wunsch nachkam und langsam auf ihn zuschritt.
Er starrte ihr mit kaltem Blick entgegen. Die dunklen Pupillen fielen in dem düsteren Gesicht nicht auf, dafür leuchtete das Weiße in den Augen, wenn er sie bewegte. Dann winkte er mit dem rechten Zeigefinger zum Zeichen, daß sich Dunja schneller bewegen sollte, was sie auch tat.
Dicht vor ihm blieb sie stehen. Goran wußte genau, daß sie erst in den Zirkel eingeführt werden mußte, hob den Arm und strich über ihre Wangen. Dabei krümmte er die Finger etwas, so daß die Nägel nicht kratzten, sondern kitzelten und auf der Haut des Mädchens einen Schauer hinterließen.
Sie war zwanzig Jahre jung und hatte sich ihr schon dunkles lockiges Haar in einem noch intensiveren Schwarz färben lassen.
Sie trug einen langen, schwarzen Mantel, der ihre hübsche Figur verdeckte. Unter dem Mantelsaum schauten schwarze Hosenbeine hervor.
Dunjas Gesicht hatte durch die Anspannung etwas Puppenhaftes bekommen. Sie starrte Goran an, ohne ihn eigentlich wahrzunehmen. Zu sehr konzentrierte sie sich auf seine Berührungen.
Dann hörte sie seine Stimme. Schauspieler lernen zu flüstern und gleichzeitig so laut zu sprechen, daß sie noch in den letzten Reihen gehört werden können.
So ähnlich redete auch Goran. Jeder vernahm seine Worte, auch wenn er weiter entfernt stand.
»Es ist gut und immer etwas Wunderbares, daß weitere Freunde zu uns stoßen. Du, Dunja, wirst in dieser Nacht die Weihe des Dekans bekommen und dich damit in unseren Kreis einreihen. Es wird dir von nun an gutgehen, denn du gehörst zu den Auserwählten, die sich nach dem Blutschwur sehnen, um einen Blick ins Jenseits werfen zu können, wo sie umfangen werden von einem Mantel des Glücks, der sie nie mehr loslassen wird. Das alles verspreche ich dir.«
Dunja nickte. »Ja, ich freue mich darauf. Ich bin gespannt, wie es dem Meister gefallen wird, ob er mich für würdig hält.«
»Ich habe, für dich gesprochen, kleine Dunja. Schon jetzt wirst du den ersten Kontakt zum Jenseits bekommen.« Er trat einen Schritt zurück und wandte sich mit seinen nächsten Worten an die umstehenden, schweigenden Personen, »öffnet den Sarg!«
Es gab keine Widerrede. Gleich zu viert bückten sie sich und öffneten die Verschlüsse des Deckels. Sie legten ihn auf die weiche Graberde. Alle schauten auf Maria Mitics Leiche.
Dunja schloß für einen Moment die Augen, weil sie sich so erschreckt hatte, sagte sich aber dann, daß sie hinschauen mußte, wenn sie aufgenommen werden
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