0537 - Karas grausame Träume
Wir konnten normal in die unterirdische Welt hineingehen.
»Wissen Sie auch, wo wir genau herauskommen?« fragte Suko zum Abschied.
»Bestimmt im Tempel.«
»Ja, das kann ich mir vorstellen.«
Ich war schon vorgegangen, behielt die gebückte Haltung bei und hatte auch die schmale Lampe aus der Tasche gezogen. Noch einmal drehte ich mich um. Der Fahrer hatte die Klappe bereits wieder angehoben und gekippt. Schwungvoll ließ er sie wieder zufallen.
Uns verschluckte der stockdunkle Stollen und die Unterwelt dieser Gegend.
Ich knipste die Lampe noch nicht an. Sukos lautes Atmen bewies mir, daß er dicht neben mir stand.
Wir kannten das Spiel und konzentrierten uns auf die Umgebung.
Nichts war zu hören. Die Männer und Frauen mußten ihren Tempel bereits erreicht haben.
»Hoffentlich spielt der Fahrer nicht falsch«, wisperte mein Freund. »Stell dir mal vor, der warnt die anderen.«
»Das will ich ihm nicht raten.«
»Trau schau wem…«
Nebeneinander schritten wir tiefer in die Dunkelheit. Der Boden war weich und lehmig. Manchmal stolperten wir über irgendwelche Steine und riskierten es schließlich, die kleinen Lampen einzuschalten.
Den straff gebündelten Strahl allerdings deckten wir mit unseren Handflächen teilweise zu, so daß er wolkenartig die nähere Umgebung erhellte.
Stolperfallen jedenfalls waren jetzt früh genug auszumachen. Der Stollen änderte sich in seiner Höhe nicht. Allerdings in der Breite.
Mal wuchsen die Wände dichter zusammen, dann hatten wir wieder mehr Platz.
Die Luft war muffig. Wenn ich tief durchatmete, hatte ich sogar den Eindruck, sie trinken zu können, so sehr war sie zudem mit einer gewissen Feuchtigkeit angereichert.
Auf unserer Haut lag der kalte Schweiß. In meinem Nacken hatte er sich zu Perlen gesammelt. Die einzigen Lebewesen hier unten waren wir nicht. Manchmal huschten Wühlmäuse aus dem Schein der Lampen weg, um sich zu verstecken. Auch Käfer und anderes Getier krabbelte an den Wänden.
Ich versuchte auszurechnen, wie weit die Strecke wohl war, die wir zurücklegen mußten. Da wir uns in einem anderen Winkel auf das Ziel zubewegten, kürzten wir entsprechend ab. Es dauerte tatsächlich nicht lange, bis wir das Ende des Stollens erreicht hatten.
Hier sahen wir die Tür.
Sie bestand aus Holz, hing etwas schief in den Angeln und sah ziemlich morsch aus.
Durch den unteren Spalt drang ein hellerer Streifen, der vor unseren Fußspitzen zerfaserte.
Es war kein Licht, das von einer Lampe abgegeben wurde, dafür war es einfach zu unruhig. Als Quelle dienten wahrscheinlich Kerzen oder Fackeln. Da uns niemand erwartete, konnten wir auf Nummer Sicher gehen und leuchteten die Tür ab. Das Schloß sah, im Gegensatz zu dem am normalen Eingang, primitiv aus. Das würden wir knacken können, falls die Tür nicht offen war.
Suko lächelte. »Sieht nicht schlecht aus, wir…« Er sprach nicht mehr weiter, denn plötzlich hörten wir den Gesang.
Es gibt Gesänge und Choräle, die klingen so feierlich, daß manche Kirchgänger eine Gänsehaut davon bekommen.
Der Gesang, der unsere Ohren erreichte, klang anders. Nicht festlich oder feierlich, mehr dumpf und wallend. Beinahe drohend vorgetragen, als wollten die Männer und Frauen hinter der Tür etwas beschwören.
»Was sagst du?« fragte ich Suko.
»Die scheinen mit ihrem Ritual begonnen zu haben.«
»Glaube ich auch. Da sind wir gerade richtig.« Suko sah mein blasses Gesicht und die Gänsehaut.
»Was hast du?«
»Das kann ich dir nicht genau erklären, aber ich habe das Gefühl, als würde auf uns eine verdammte Überraschung warten.«
Er hob die Schultern. »Aber du willst nicht kneifen?«
»Im Gegenteil.«
»Okay, dann geh mal vor.«
Ich legte meine rechte Hand auf das kühle Metall der schwarzen Klinke, drückte sie nach unten und spürte jetzt schon, daß die Tür nicht verschlossen war.
Behutsam zog ich sie mir entgegen. Der Gesang hatte sich gesteigert. Ich hoffte, daß die Anwesenden sich nur darauf konzentrierten und nicht auf die Tür.
Der Spalt war groß genug, so daß ich mich hindurchzwängen konnte, den Tempel betrat und das Gefühl hatte, in eine Welt der Schatten, der unheimlichen Mächte und der Schwarzen Magie hineingeraten zu sein, denn innerhalb des Tempels lauerte das Böse…
***
Karas Nacht war durch die Alpträume sehr unruhig gewesen, und der kommende Tag brachte keine Besserung.
Sie hatte versucht, am Morgen noch etwas Schlaf nachzuholen. Es war ihr nicht gelungen, weil
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