054 - Die Gespenster-Dschunke von Shanghai
Sie wirkten scheu, bleich
und krank. In den tiefliegenden Höhlen glühten die Augen wie Kohlen. Die jungen
Männer blickten der gutgekleideten, zierlichen Frau nach, die ihnen freundlich
zugelächelt hatte. Der Patient, zu dem Keiko geführt wurde, hatte ein
Einzelzimmer. Er stammte aus gutem Hause. Sein Vater, ein wohlangesehener
Tokioter Geschäftsmann, liebte seinen einzigen Sohn über alles. Er sollte mal
das Unternehmen erben und führen. Aber seit dem siebzehnten Lebensjahr nahm
Jasiro Takato Rauschmittel. Im Freundes- und Bekanntenkreis bei Partys fing es
an. Nur erst mal zum Spaß , als Mutprobe… Es kann ja nichts
passieren, nicht mir… das war die Einstellung. Es begann mit Aufputschmitteln
und Tranquilizern, die sie sich auf gefälschte Rezepte beschafften. Dann folgte
mal der Zug an einer Hasch-Zigarette. Es wurden mehr. In der Heroinsucht
schließlich endeten die meisten. Drei aus der Gruppe, in der Jasiro bis zuletzt
verkehrte, lebten schon nicht mehr. Mit achtzehn, zwanzig und zweiundzwanzig
hatten sie sich den goldenen Schuß gesetzt und waren an einer
Überdosis Heroin gestorben. Sie hatten aus dem Rausch nicht mehr
zurückgefunden… Jasiro Takatos Vater brachte das Kunststück fertig, seinen Sohn
vor einigen Monaten dazu zu überreden, freiwillig eine Entziehungskur zu
machen. Der Zustand des Fünfundzwanzigjährigen war schon bedenklich gewesen,
als man ihn einlieferte. Aber Takato hatte die feste Absicht von dem Gift
wegzukommen, auszubrechen aus dem Teufelskreis, in den er geraten war. Der
eigene Wille war eine entscheidende Sprosse auf der Leiter, die er mühsam nach
oben stieg. Dann zeichnet sich ab, daß er es schaffen konnte. Die große Frage
war aber: Würde er auch widerstandsfähig bleiben, wenn er die Anstalt hinter
sich ließ?
Dafür
interessierte sich nicht nur der alternde Vater des Mannes, der von der Sucht
losgekommen war, sondern auch die PSA. Und zwar aus einem besonderen Grund. Es
hing mit dem zusammen, was Jasiro Takato damals von sich gab, als man ihn
verdreckt und erschöpft in der Gosse fand. Er war zu diesem Zeitpunkt
offensichtlich immer noch im Rausch, denn er sprach von merkwürdigen Bildern in
seinem Kopf und Gestalten, die er so genau beschreiben konnte, als stünden sie
leibhaftig vor ihm. Aus den Träumen, die er sich bisher stets mit harter Münze
erkauft hatte, waren Alpträume geworden. Als er aufwachte, begann er sofort zu
schreien. Er wurde befragt, was los sei, und er berichtete von einer wilden
Party in einem Sommerhaus, dreißig Meilen südlich Tokios. Dort hatte sich eine
Gruppe junger Leute getroffen, deren Namen er jedoch nicht preisgab. In jener
Nacht hätte er sie alle mit seltsamen Köpfen gesehen, Drachenköpfen. Kahl
und knöchern, ohne Haut, ohne Farbe… Da hatten seine Schreianfälle schon
begonnen. Panikerfüllt sei er davongerannt. Obwohl mit Rauschgift vollgepumpt,
sei ihm noch bewußt geworden, daß es nicht gut sei, in dem Sommerhaus zu
bleiben.
In
jener Nacht hatte er in einer Wasserpfütze sein eigenes Antlitz gesehen. Er sah
genau so aus wie die anderen und trug einen Drachenschädel auf den Schultern!
Er durchlebte einen Horror-Trip, den er so schnell nicht mehr vergaß. Und
dieses Erlebnis brachte ihn dazu, sich für eine Entziehungskur zu entscheiden.
Durch das Polizeiprotokoll erfuhr auch die PSA, die Psychoanalytische
Spezial-Abteilung, von diesem Vorkommnis. X-RAY-1, der geheimnisvolle
Leiter der Institution, wollte mehr darüber wissen. In der Großcomputer- Anlage
der PSA waren alle bekannten Spuk-Phänomene registriert, die irgendwann mal
aufgetreten waren. Bei der Arbeit der Spezialagenten, die außergewöhnlichen
Vorfällen überall in der Welt nachgingen, hatte sich herausgestellt, daß
Ereignisse in der Vergangenheit oft noch mal wiederkommen konnten, wenn sie
seinerzeit nicht völlig aufgeklärt wurden. Typische Fälle waren die Spuk- und
Phantomerscheinungen in alten Schlössern und Gespensterhäusern. Durch die
Erfahrungen, die man zwischenzeitlich gemacht hatte und auch durch die
Forschungen auf diesem Gebiet, wußte man heute einige Dinge, die früher nicht
bekannt waren.
Als
Jasiro Takatos Erlebnis der PSA bekannt und den Computern zur Archivnahme
eingegeben wurde, gab’s Alarm. Die Gestalten, die der Rauschgiftsüchtige
während seines Horror-Trips gesehen hatte, und denen er selbst ähnlich gewesen
zu sein meinte, waren als Spuk-Phänomen in chinesische Legenden eingegangen.
Man nannte sie nur die
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