0558 - Aus dem Jenseits entlassen
sicherheitshalber die Schlösser der Tür.
Da kam Paul schon. Er stand auf der Schwelle, seine Stimme klang sehr böse. »Ich habe dir doch gesagt, daß du mit mir kommen sollst, Gerty. Weshalb gehorchst du nicht?«
»Weil ich nicht will!« schrie sie.
»Dann muß ich dich eben zwingen!«
Dieses letzte Wort traf sie wie ein Stich ins Herz. Alles würde sie mit sich geschehen lassen, aber nicht zwingen.
Sie riß die Wohnungstür auf, als ihr Mann auf sie zusprang. Gerty war schneller. Sie konnte die Tür noch zurammen und floh in das Treppenhaus. Es klang vie ein Schuß, der durch das alte Gebäude hallte. Er würde vielleicht Mieter wecken, doch wer hier lebte, kümmerte sich zumeist nicht um die Probleme der Nachbarn. Hier hatte jeder seine eigenen Sorgen und Probleme, um die er sich kümmern mußte.
Als Paul im Flur stand, hatte seine Frau den ersten Treppenabsatz bereits hinter sich gelassen. Sie floh wie ein Schatten, die Panik hielt sie umklammert, und die heiße Angst um ihr Leben trieb sie voran.
Trotz seiner Macken hatte sie Paul bisher immer vertrauen können.
Was er jetzt allerdings zeigte, war furchtbar. Da hatte er die völlig dunkle Seite seines Wesens offenbart.
Zwei Stockwerke tief mußte sie laufen, um den Ausgang zu erreichen. Genau in dem Augenblick verlöschte das Flurlicht. Es brannte nur sehr kurz. Soeben noch hatte Gerty den Umriß eines Mannes wahrnehmen können. Der Kerl lebte in einer der unteren Wohnungen, lehnte neben seiner Tür und war stehkragenvoll.
Gerty machte ihn fast nüchtern. Als sie nach dem Lichtschalter tastete, umschlangen sie die Arme des Mannes wie die Fänge eines Kraken. Sie hörte das rauhe Lachen. Hände suchten nach ihrer Brust, die Alkoholfahne nebelte sie fast ein.
Gerty stieß ihren angewinkelten Arm nach hinten und traf mit dem spitzen Ellbogen.
Sie hörte den Betrunkenen nach Luft japsen, aber auch die Schritte auf der Treppe, die an Lautstärke zunahmen, weil ihr Mann die alten Stufen hinabkam.
Abermals flutete die Panik in ihr hoch. Bis zur Haustür waren es nur wenige Schritte.
Sie riß die Tür auf, lief nach draußen und dachte nicht mehr daran, wie schmal der Gehsteig war.
Die Frau im hellen Bademantel lief auf die Straße und hinein in das Licht der beiden Scheinwerfer, die vor ihren Augen explodierten. Sie hörte noch das Jaulen von Reifen auf dem Pflaster, dann fiel sie einfach zusammen, als wäre sie von dem Wagen überrollt worden…
***
Soho am Abend!
Im Sommer quollen die Straßen und Gassen mit Menschen über, obwohl dieser Stadtteil längst nicht mehr aussah wie früher und die meisten Besucher enttäuscht waren.
Im Herbst oder Winter jedoch gab es selbst in Soho Ecken, die man als tot bezeichnen konnte.
Fast menschenleere Straßen, glänzendes Pflaster, Gullys, aus denen Qualmwolken krochen und sich auf der Fahrbahn verteilten, als wollten sie das Licht der Schweinwerfer aufsaugen.
Auch Suko kam es so vor. Er gehörte zu den wenigen Autofahrern, die abseits der vielbefahrenen Straßen mit dem Wagen unterwegs waren.
Die Reifen schmatzten über den glänzenden Asphalt. Suko hatte die Winterpneus aufziehen lassen. Um diese Jahreszeit mußte man mit Schnee rechnen. In den höheren Lagen des Landes war er bereits gefallen.
Der Inspektor wollte sich zwar nicht als innerlich aufgewühlt bezeichnen, dennoch fuhr eine gewisse Sorge mit. Er hatte Johns Anruf erwartet, der aber war ausgeblieben.
Von dem Zeitpunkt an handelte Suko genau nach dem abgesprochenen Plan. Er wollte sich das Lokal mit dem schönen Namen Honeymoon einmal genauer ansehen.
Was er sich darunter vorstellen sollte, wußte er nicht. Das hatte auch John Sinclair nicht gewußt. Irgendeiner der noch vorhandenen Stripschuppen in Soho. Viele dieser Läden hatten dichtmachen müssen. Den Leuten saß das Geld nicht mehr locker, außerdem gab es noch andere Vergnügungen.
Suko ließ den Wagen durch die feuchte Herbstnacht rollen. Es war nicht neblig geworden, doch ein leichter Dunst wehte schon durch die Gassen und wollte an den Fassaden der Hausdächer in die Höhe kriechen.
Der Inspektor fuhr so schnell wie möglich, ohne allerdings das Tempolimit zu überschreiten. Er befand sich nicht auf einem Noteinsatz, deshalb verzichtete er auch auf die Sirene und das Blaulicht, das er sich nachträglich hatte einbauen lassen.
Nicht einmal weit vor dem Ziel geschah es. Er verglich es mit einer Momentaufnahme. Von einem Augenblick zum anderen war alles anders. Von der rechten
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