0558 - Aus dem Jenseits entlassen
Seite her, vom Gehsteig kommend, erschien die Gestalt im Licht der Scheinwerfer.
Es war eine Frau, die ein langes, helles Kleidungsstück trug. Sie war einfach da, warf sich in den BMW hinein, als wollte sie den Wagen stoppen.
»Verrückt!« keuchte Suko und bremste.
Der Wagen war mit phantastischen Bremsen ausgestattet. Das ABS gehörte serienmäßig dazu. Der Wagen geriet nicht aus der Spur, da drehten keine Räder durch – und er stand.
Die Frau aber lag vor dem Fahrzeug. Sie war wie eine Puppe zusammengesackt. Beim Fallen hatte sie die Arme noch in die Luft gereckt, als hätte sie sich irgendwo festhalten wollen.
Suko war in Windeseile aus dem Wagen. Nach einer Falle hatte ihm das nicht ausgesehen.
Die Frau lag auf dem nassen Asphalt. Soviel Suko beim ersten Hinschauen erkennen konnte, war sie nicht verletzt worden. Sie lag gekrümmt, regelrecht eingerollt, als wollte sie sich vor irgend etwas schützen.
Er beugte sich über sie, faßte sie an, die Frau schrie. »Neiinnn, nicht. Sie… du …«
»Bitte, Madam, Sie brauchen keine Angst zu haben.« Suko lächelte.
»Ich möchte Ihnen nur helfen.«
»Mir… Sie …?«
»Ja.«
»Und wer sind Sie?«
»Stehen Sie erst einmal auf, Madam. Sie holen sich auf dem kalten Boden noch den Tod.«
»Gehören Sie auch zu ihm, Mister? Reden Sie schon! Ich will es wissen.«
»Wen meinen Sie?«
»Meinen Mann, der…« Sie brach ab und ließ es geschehen, daß Suko sie auf die Beine zog. Beide hielten sich im Licht der Scheinwerfer auf und waren auch aus der Ferne zu sehen.
Zeugen für diesen Vorgang hatte es auch gegeben. Von irgendwoher liefen Menschen zusammen. Zwei bullige Männer, beide leicht angetrunken, beschimpften Suko als Verkehrsrowdy. Der kümmerte sich nicht um die Schreie, fuhr den BMW zur Seite und hatte die Frau auf den Beifahrersitz gesetzt. Sie hockte dort und starrte gegen den Wagenhimmel. Ihr Atem ging heftig. Eine Wange war besonders stark gerötet, als wäre sie genau dort geschlagen worden.
Danach fragte Suko auch.
»Ja, man hat mich geschlagen.«
»Und wer?«
»Mein Mann.«
Suko nickte. Er hatte sich so etwas schon gedacht. Leider nahmen die Streitigkeiten unter Eheleuten immer stärker zu. Nur wenig wurde darüber bekannt, vieles blieb im dunkeln. Frauen wurden gequält und gedemütigt, und es gab einfach zu wenig Frauenhäuser, in denen sie hätten Schutz suchen können.
»Soll ich mit hochgehen?« fragte Suko.
Sie hob die Schultern. »Und dann?«
»Ich könnte mit Ihrem Mann reden.«
Sie lachte schrill auf. »Mit ihm reden? Das geht nicht, das ist nicht drin.«
»Keine Sorge«, sagte Suko. »Ich bin Polizist.« Er sagte seinen Namen und den Dienstgrad.
»Ich heiße Gerty Camrum.«
»Okay, Mrs. Camrum, wir sollten zu Ihnen gehen, damit ich Ihren Mann fragen kann, was…«
»Nein, nein!« widersprach sie heftig. »Sie können mit meinem Mann nicht reden!«
»Ist er so schlimm?«
Gerty warf einen Blick auf die Haustür, die noch immer offenstand. Zuschauer hatten sie keine mehr. In dieser Gegend kümmerte man sich nicht um die Probleme anderer. »Man kann nicht mit ihm sprechen«, sagte sie hastig. »Oder haben sie schon mal mit jemanden geredet, der statt eines normalen Kopfes einen Totenschädel besitzt?«
Nach diesen Worten mußte sie lachen. Suko saß total verwirrt konsterniert neben ihr.
»Moment mal, Mrs. Camrum. Was haben Sie da eben von sich gegeben? Ihr Mann hat einen – Totenschädel?«
»Ja.«
»Eine Maske?«
»Nein, Inspektor. Er ist echt! Und in der rechten Hand hat er eine brennende Kerze gehalten.«
Eine brennende Kerze und einen Totenschädel. Suko wußte nicht, ob sich die Frau das alles eingebildet hatte. Vielleicht litt sie unter Halluzinationen, möglicherweise war ihr Geist auch verwirrt, da gab es einige Erklärungen. Aber auch die, daß die Frau möglicherweise die Wahrheit gesagt haben könnte. Der Inspektor gehörte nicht zu den Menschen, die andere auslachten, wenn diese etwas Ungewöhnliches gesehen oder erlebt hatten. Er hörte stets genau zu und ging auch davon aus, daß jedes Ding nun mal zwei Seiten hat.
»Sie glauben mir nicht, wie?«
Suko hob die Schultern. »Es ist zumindest schwer, Mrs. Camrum.«
Sie nickte heftig. Ihre Nasenflügel zitterten, die Haut auf dem Gesicht glänzte. »Ich weiß, es ist verdammt schwer zu glauben, Inspektor. Aber ich habe Ihnen die Wahrheit erzählt, die volle Wahrheit. Da war auch noch mein Traum.«
»Ihr was, bitte?«
»Mein Traum, er war furchtbar.
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