0558 - Aus dem Jenseits entlassen
Boden. Ihr Blick zeigte eine typische Leere. Sie war genarrt worden, hatte verloren, sie hatte sich lächerlich gemacht, denn Paul war ein völlig normaler Mensch. Wie hatte sie sich nur derart verrückt machen lassen können? Das wollte ihr nicht in den Kopf.
Tief atmete sie durch. Wenn sie gegen den Kleiderschrank schaute, dann kam sie sich vor, als würde seine vordere Front in Wellenbergen zerlaufen. Das gleiche setzte sich an der Decke fort, überhaupt kam ihr das Zimmer vor wie ein schwankendes Boot.
Kopfschmerzen peinigten sie. Vom Weinen nahmen sie noch mehr zu, Gerty kannte das.
Sie konnte nicht dagegen an. Das Gefühl der Hoffnungslosigkeit produzierte die Tränen.
Der Inspektor und ihr Mann redeten in der Diele miteinander. Da die Schlafzimmertür geschlossen war, konnten sie nicht verstehen, was die Männer sagten, aber der Polizist würde keinen Grund sehen, weiterhin in der Wohnung zu bleiben.
So fragte sie sich, was danach kommen würde? Die Nacht war noch lang, da konnten sich die Stunden bis zum Morgen hinziehen.
Der Inspektor hatte ihr geraten, wieder zu schlafen. Das aber wollte Gerty nicht. Sie fürchtete sich einfach davor. Wenn sie schlief, kehrten die schweren Träume sicherlich zurück. Möglicherweise noch stärker und intensiver. Einmal war sie mit dem Leben davongekommen, da hatte sie dieses verdammte Messer verfehlt. Würde sie es auch ein zweitesmal schaffen?
Daran konnte sie nicht glauben. Nein, das war einfach zu schrecklich. Sie sah sich schon als Gefangene eines Totenreiches, in dem farbige Nebel nur einen schmalen Tunnel freiließen. Und der wiederum endete vor dem schrecklichen Gemälde.
Alles war verloren, alles war kaputt. Jetzt noch von Rettung zu sprechen, hatte keinen Sinn mehr, und auf ihren Mann konnte sie sich nicht verlassen.
Sie hörte, daß die Schlafzimmertür geöffnet wurde. Gerty schaute nicht auf. Nach wie vor hockte sie auf der Bettkante, fror, denn durch das offene Fenster drang die Kälte. Auch taten ihr einige Knochen an der rechten Seite weh. Der Aufprall war ziemlich hart gewesen und nicht so einfach zu verkraften.
Die Tür fiel wieder ins Schloß.
»Er ist weg!« vernahm sie die leise Stimme ihres Mannes. »Er ist tatsächlich gegangen.« Paul lachte.
»Ich weiß.«
»Du hast also keinen Erfolg gehabt.«
Die Worte waren einfach dahingesprochen worden. Gerty mußte erst darüber nachdenken. Nach einer Weile begriff sie den Sinn. Ein kalter Schauer rieselte über ihren Rücken. Sie traute sich erst nicht, die Hände von ihrem Gesicht wegzunehmen und in die Höhe zu schauen. Nur sehr langsam sanken sie nach unten.
Um Paul sehen zu können, mußte sie hochblicken.
Er war zwei Schritte in den Raum hineingegangen und starrte Gerty an. Die brennende Kerze hielt er wieder in der Hand. Statt des Gesichts blickte ihr ein Totenschädel entgegen.
Gerty wußte nicht mehr, was sie noch tun sollte. Sie öffnete den Mund, um zu schreien, während vor der Haustür der Motor eines Fahrzeugs gestartet wurde. Mit dem Wagen fuhr der Inspektor weg.
Eine harte Pranke unterdrückte den Schrei, und Pauls Stimme erreichte zischend ihr Ohr. »Das Jenseits wartet auf uns, Gerty. Komm, wir werden den Weg gemeinsam gehen…«
***
Gilda war zum Monster geworden und hatte auf uns gewartet. Wegen der Barbeleuchtung bot sie einen überzeichneten, grotesken Anblick. Sie besaß den Körper einer Göttin, doch den Kopf eines Monstrums. Der Schädel wirkte im Licht etwas weich, als könnte man ihn von verschiedenen Seiten zusammendrücken. Da sich Gilda nicht rührte und somit keine Gefahr für mich darstellte, tat ich auch nichts gegen sie, sondern wandte mich an Erica, die mich hergelockt hatte.
»Sie hatten es gewußt?«
»Ja, Polizist, das habe ich gewußt.«
»Gut, und jetzt?«
»Du sollst sehen, Polizist, daß es Dinge gibt, die über den menschlichen Verstand hinwegreichen.«
»Wie ist sie zu dem Totenschädel gekommen?«
»Sie war dort.«
»Wo genau?«
»Im Jenseits.«
»Hören Sie auf damit, Erica! Ich glaube Ihnen nicht. Das Jenseits kann nicht so aussehen.«
»Woher willst du das wissen?«
»Das Jenseits ist eine Welt, die man nicht erklären kann. Vielleicht ist es ein philosophischer Begriff, in dem unsere Gesetze überhaupt nichts gelten. Man kann es nicht berechnen, aber es ist einfach vorhanden, verstehen Sie?«
»Nein.«
»Wer einmal dort ist, der kommt nicht als Monstrum zurück. Also haben Sie den falschen Begriff genommen. Sie kann nicht aus dem
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