0558 - Aus dem Jenseits entlassen
Demonstration meiner Macht, Geisterjäger. Hier ist das Reich der Druiden…«
»Nein, das ist woanders. Diese Seite des Landes ist die Hölle. Ohne Grün, ohne Wasser, nur Gestein, Gestank und Tod.«
Guywano hatte von den Ghouls gesprochen, die sich die Versager und Verräter holten. In den folgenden Sekunden wurde mir demonstriert, wie das geschah.
Aus der ziemlich ruhig liegenden Oberfläche löste sich plötzlich ein Arm. Er peitschte in die Höhe, bewegte sich im Kreis und griff gedankenschnell zu.
Wie eine Schlange umfing er einen der Körper in meiner Nähe. Ich konnte genau sehen, was geschah, denn durch die ziehende Kraft riß das Netz entzwei.
Der krakenartige Ghoularm verschwand mit seinem Opfer in den Schleimsee.
Dort passierte das, was ich leider schon zu oft gesehen hatte. Der abgespaltete Ghoul schluckte den Toten und schaffte es, ihn aufzulösen.
Zum Glück bedeckte uns die graue Dunkelheit, so konnte ich das Geschehen mehr ahnen.
Der Körper löste sich auf, da der Schleim wie Säure wirkte. Zurück blieb bleiches Gebein…
Der Geruch stieg in meine Nase. Er stach in die Schleimhäute. Ich wagte kaum noch, Luft zu holen und konnte mich nur fragen, wann ich an der Reihe war.
Auf dem Bauch wollte ich nicht liegenbleiben. Es hatte auch keinen Sinn, es mit dem Kreuz zu versuchen. Im Reich der Druiden wurde es auf eine gewisse Art und Weise neutralisiert.
Und versuchen, wieder auf den Rand des Kraters zuzukriechen?
Das klappte nie. Sie würden es nicht dazu kommen lassen und mich immer wieder zurückstoßen.
Da ich nicht wollte, daß dieses verdammte Netz riß, bewegte ich mich sehr vorsichtig. Behutsam drehte ich mich auf die Seite, blieb auch dort nicht liegen, sondern setzte mich.
Das Netz schwankte gefährlich. Einige Male glaubte ich, daß es aus war, und mein Herz schlug schneller, aber ich konnte die sitzende Lage behalten.
Die Männer mit den Totenschädeln umstanden den Krater. Obwohl es nicht stimmte, kamen sie mir meilenweit entfernt vor. Die kleinen Kerzenflammen wirkten auf mich nicht wie Symbole der Hoffnung, eher wie Zeichen der Angst.
Ich sah Jarveena!
Bewegungslos lag sie vor mir auf dem Netz. Ihr Gesicht hatte eine totenbleiche Farbe angenommen. Einmal hatte sie Kontakt mit mir aufnehmen können, ich war gespannt, ob sie es jetzt auch versuchte.
»Keiner kann ihr helfen!«
Mit dieser Stimme hatte ich nicht gerechnet. Ich schrak zusammen, als sie aufklang, schaute nach rechts und sah ihn kommen.
Schwebend leichtfüßig schritt er über das Netz. Guywano sah aus, wie ich ihn kannte: ein alter Mann im langen, weißen Gewand, das ebenso wehte wie seine Haare. Das harte Gesicht besaß einen braungrünen Schimmer, und in seinen Augen leuchtete das Licht der Sterne. So klar, so hell und gleichzeitig geheimnisvoll.
Er war der Herrscher in diesem Land, und er fühlte sich auch so.
Sein Gesicht schien aus der grauen Finsternis hevorzuwachsen, es zeigte eine ungewöhnliche Klarheit, und ich erkannte so ziemlich jeden Zug.
Guywano blieb so stehen, daß Jarveena zwischen uns lag. Auch ich stellte mich hin. Ich konnte es einfach nicht aushalten, vor ihm zu sitzen oder zu knien.
An die nachgiebige Unterlage hatte ich mich inzwischen gewöhnt und bekam einen relativ festen Stand. Ich wußte nicht, was er wollte, wahrscheinlich hatte ich es mit einer Provokation zu tun.
»Es ist der Friedhof meiner Feinde, Versager und Verräter«, erklärte er mir. »Ich habe hier viele sterben sehen und sterben lassen. In dieser Stunde werden wieder zwei hinzukommen. Jarveena und du, Sinclair. Ich wollte unbedingt, daß du dir ihren endgültigen Tod ansiehst. Damals war es keine Lösung, als die Trooping Faires sie mitnahmen. Das hast du sicherlich auch so gesehen. Deshalb ließ ich sie leiden. Nicht ohne Grund bezeichnen Menschen das Land zwischen Himmel und Hölle als das Fegefeuer. Vielleicht ist Aibon das Fegefeuer. Ich jedenfalls denke so für meinen Teil des Landes, den ich irgendwann einmal ganz ausdehnen werde. Was sagst du zu meinen Plänen, Sinclair?«
»Fegefeuer«, wiederholte ich. »Ja, Guywano, davon habe ich gehört. Aber ich möchte dir den Begriff des Fegefeuers erklären.«
»Ich höre.«
»Im Fegefeuer, so heißt es in den Legenden und Überlieferungen, wird gesühnt, um eines Tages als reingewaschene Seele diesen langen Schrecken verlassen zu können. Du siehst also, daß es auch im Fegefeuer Gnade gibt.«
Er lachte. In seinen Augen emplodierte das kalte Licht. Es kam
Weitere Kostenlose Bücher