0577 - Die Krakenfalle
Fenster paßte auch dazu. Für Doris war es nicht mehr als ein Guckloch. Im Winter konnte sie es noch aushalten, im Sommer nicht. Da drehte sie beim Kochen fast durch.
Die Scampis hatte sie in den Kühlschrank gelegt. Sie wollte sie noch einmal reinigen und trug die rosarot schimmernden Halbmonde in Sichtung Spüle.
Aus dem Schrank nahm sie die schwere Gußeisenpfanne, in der sie die Scampis anbraten wollte. Die Pfanne besaß ein dermaßen großes Gewicht, daß Doris sie mit beiden Händen auf den Gasherd hieven mußte.
Es war ein alter Ofen. Jeden Tag befürchtete sie, daß er irgendwann mal in die Luft fliegen würde, aber bisher hatte er gehalten. In Deutschland wäre er längst aus einer Küche verbannt worden, um irgendwann im Museum zu landen.
An der Côte war eben vieles anders.
Da lebte man leichter und wesentlich lockerer.
Butter, Knoblauch und andere Gewürze baute Doris in Reichweite auf. Das Fenster lag auf der Schattenseite, trotzdem fiel ihr auf, daß es dunkler geworden war.
Ein Gesicht zeigte sich in der Öffnung, und Doris erschrak, als sie es sah und auch das Lachen hörte.
Es war Picasso, der in die Küche schaute.
»Himmel, hast du mich erschreckt!« flüsterte Doris. »Warum schleichst du immer so?«
»Ich wollte dich sehen.«
Sie lachte und legte den Kopf schief. »Tatsächlich?«
»Ja.«
»Und was willst du?«
»Das weißt du doch.«
»Klar, du willst mich nackt malen.«
»So ist es.«
Sie tippte mit dem Zeigefinger gegen die Stirn und ging auf das Fenster zu. Bewußt sehr gerade, so daß sich ihre Brüste unter dem T-Shirt abzeichneten. Doris wußte, daß der Maler scharf auf ihren Busen war, auf den sie stolz sein konnte. Sie hatte selbst hier bei der ungeheuer großen weiblichen Konkurrenz schon einige Preise bei bestimmten Miß-Wahlen gewonnen.
»Na?« Picasso grinste und leckte über seine Lippen. »Wäre ich du, so wäre ich stolz, wenn mich jemand malen wollte.«
»Deine Ausreden kenne ich genau, du Pinselquäler.«
»Wieso?«
»Ich sage dir noch einmal, daß ich mich nicht in dein schäbiges Atelier locken lasse, du scharfer Bock. Mann, du bist fast siebzig. Setz dich in deine Kammer und male Schiffe.«
»Ich bin mehr für Menschen.«
Doris winkte ab. »Dafür kann ich mir nichts kaufen. Jedenfalls kriegst du mich nicht nackt zu sehen, alter Bock! Außerdem habe ich zu tun, du hältst mich nur auf.«
»Warte es ab, schöne Doris. Ich bin noch nicht am Ende. Manchmal kann ich hartnäckig sein.«
»Das ist mir egal.«
Sie war froh, daß der Maler endlich verschwand. Der konnte sich leicht festreden. Als er nicht mehr zu sehen war, mußte sie trotzdem lächeln. Der Gedanke, nackt gemalt zu werden, gefiel ihr sogar recht gut. Doris war eitel, nicht jede Person wurde als Bild festgehalten.
Zu schämen brauchte sie sich bei ihrer Figur tatsächlich nicht. Sie hatte sich schon oft genug vor Männern ausgezogen und in ihren Augen die Gedanken lesen können.
Nur gefiel ihr Picasso nicht. Der alte Bock schaute zu lüstern. Wegblicken konnte er ihr nichts.
Sie würde überlegen, ob sie die Dinge nicht für sie günstig richten konnte.
Zunächst mußte sie an andere Dinge denken. Dazu gehörte das Waschen der Scampis. Das war schnell getan.
Die Pfanne stand auf dem Herd, dessen Kochstelle noch nicht erhitzt worden war. Sie wollte die Butter schneiden und den Knoblauch zerdrücken, als es passierte.
Ein Geräusch erschreckte sie…
Doris stand still. Sie wischte sich eine Locke aus der Stirn und horchte. Da – wieder. Es war draußen.
Das furchtbare Ächzen trieb ihr den Schweiß der Angst aus den Poren. Zwischendurch vernahm sie ein würgendes Keuchen, vermischt mit einem pfeifendem Atmen.
Schrecklich…
Doris wußte, daß diese unidentifizierbaren Geräusche aus dem schmalen Hinterhof stammten, doch sie traute sich nicht, durch das Fenster zu schauen.
Zitternd blieb sie stehen und wartete ab.
Wieder vernahm sie das Würgen. Diesmal lauter, als wäre irgend jemand nahe an das Haus herangekommen.
Wieder sah sie den Schatten, der von der Rückseite her den Ausschnitt des Fensters verdunkelte.
Abermals war es das Gesicht des Malers.
Diesmal nicht lächelnd, sondern verzerrt in einer wahren Todesangst, denn eine unheimliche Kraft drückte den Mann waagerecht durch das Fenster in die Küche…
***
Doris wurde nicht verrückt, sie schrie auch nicht, sie hatte einfach das Gefühl, neben sich zu stehen und einen wilden, bösen Traum zu erleben. Was da passierte,
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