058 - Sub Sisco
zu überbrücken. Drüben gelandet, erhielt Clays Herzen einen scharfen Stich. Piar lag lang ausgestreckt auf den Planken, ihr Hemd mit Blut durchtrankt, eine rot glänzende Lache unter dem Körper.
Trotzdem formten sich ihre Lippen zu einem gequälten Lächeln. »Vater wird ganz schön sauer auf dich sein«, scherzte sie. »Du hättest wenigstens sein Boot heil lassen sollen.«
Eine blaue Flossenhand strich kühlend über ihre heiße Stirn. Sie gehörte der Fishmanta - kan, die neben Piar kniete. Es war dieselbe, die Clay unter Wasser begegnet war. Er hatte sie sofort erkannt.
Sie trug nicht mehr als grünes Lendentuch und zwei Armreifen am Körper. Ihre Sturmflinte hatte sie abgelegt, um die Flossenhände auf Piars Wunde zu drucken, doch es war vergeblich gewesen. Das Leben wich unaufhaltsam aus der Fischerin.
Das konnte Clay sehen, und es war auch an dem traurigen Blick der Nixe abzulesen. Piar wusste ebenfalls um ihren Zustand.
»Ich habe mich verschätzt«, entschuldigte sie sich, als wäre sie leichtsinnig gewesen.
»Wenn ich geahnt hätte, wie schlimm es ist, hätte ich mir helfen lassen. Den letzten Treffer habe ich es so gut überstanden, da dachte ich wohl, mir könnte nichts passieren. Ich…«
Sie brach ab, konnte nicht mehr weiter sprechen.
Clay eilte an ihre Seite.
»Eine Arterie wurde getroffen«, erklang es neben ihm, mit rauer, ungewandter Stimme.
»Der Blutverlust ist leider schon zu hoch, um einen Transport in die Tiefe zu überstehen.«
Clay wusste nicht, was eine Arterie war. Es interessierte ihn auch nicht, genauso wenig wie die Tatsache, dass die Seeteufelin Luft atmen konnte und der menschlichen Sprache mächtig war. Er nahm es einfach hin, so wie alle Geschehnisse, die heute über ihn hereingebrochen waren. Der hinterlistige Plan der Steppenreiter, das Eingreifen der Fishmanta - kan, die Schlacht in der Bucht - all das wurde unwichtig angesichts Piars Zustand.
Clay hätte sein Leben dafür gegeben, um das ihre zu retten, aber beim Tod versagte sogar Ahabs Macht. Traurig ging er in die Knie, nahm seine Geliebte auf und drückte sie sanft an seine Brust. Für einen kurzen Moment konnte er ihren verebbenden Atem an seiner Wange spüren, dann erschlaffte sie in seinen Armen. Clay bildete sich ein, dass sie ihm noch etwas sagen wollte, aber das war natürlich Unsinn.
Seine Augen füllten sich mit Tränen, während er sich voll und ganz dem schmerzlichen Verlust hingab. Die Lücke, die Piars Tod in seinem Leben hinterlassen würde, war zu groß, als dass er ihr Ausmaß wirklich erfassen konnte. Vermutlich war das gut so.
Das klatschende Geräusch zusammenschlagender Wellen riss ihn aus seinen Gedanken.
Als er die Schritte seiner Kameraden hörte, wusste er, warum die Fishmanta'kan so schnell verschwunden war. Clay wischte sich das salzige Nass aus den Augen und sah über Piar hinweg aufs Meer hinaus. Einen Moment lang fürchtete er schon, dass die Nixe für alle Zeiten in die lichtlose Tiefen entschwunden sein könnte, da tauchte ihr Kopf nur zwei Bootslängen entfernt noch einmal aus dem Wasser empor.
Ihre Blicke kreuzten sich, wie die alter Freunde, die voneinander Abschied nehmen mussten. Wehmut und Freude, Bitternis und Süße, so viel Widersprüchliches schwang gleichermaßen darin.
»Die Seeteufel ziehen sich auf allen Fronten zurück. Sie haben keinem von uns auch nur ein Haar gekrümmt«, verkündete Judd völlig verwundert. »Was hat das zu bedeuten?«
Clay hob seine Hand, um der Fishmanta'kan zuzuwinken. Sie erwiderte die Geste, bevor sie sich in einer geschmeidigen Bewegung herumwarf und abtauchte. Nicht ein Wassertropfen spritzte in die Höhe, während Schenkel, Waden und Flossenfüße versanken.
»Du willst wissen, warum uns die Fishmanta'kan geholfen haben?« Ein leiser Vorwurf schwang in Clays Stimme, da Judd das Offensichtliche nicht sehen wollte. »Weil sie unsere Freunde sind!«
***
Westküste von Meeraka, Frühjahr 2518
Bereits wenige Stunden nach Tagesanbruch gelangten sie an eine breite Wasserschneise, die sich tief ins Landesinnere zog, um dort, wie die Satellitenaufnahme zeigte, den San'andra-See zu speisen. Hier, nahe an der Einmündung, ließ sich das jenseitige Ufer nicht mehr mit dem bloßen Auge ausmachen. Ein wenig erinnerte die Meerenge an das Golden-Gate von San Fransisco, nur dass die gleichnamige Brücke fehlte, die beide Küstenabschnitte miteinander verband. Statt dessen gab es eine aus Holz gezimmerte Anlegestelle, die auf muschelbesetzten
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