0580 - Der Fluch der Totengeister
weißt, daß sie längst nicht mehr so aussieht wie zu der Zeit, als du sie zum ersten Mal betreten hast. Und da war sie schon anders als tausend Jahre zuvor. Bald wird sie abermals anders aussehen. Das heißt, die Landschaft ändert sich zwar nicht, aber die politischen Strukturen. Sagen dir Namen wie Sina die Katze, Prinz Ferrol oder Wulo der Schrat etwas? Als du erstmals in die Straße der Götter geraten bist, hätte sich niemand an sie erinnern können. Jetzt aber sind sie in aller Munde. Obgleich sie damals schon jeder hätte kennen müssen, nicht wahr? Auch das ist eine von Zeus' Spielereien. Die Straße der Götter ist so wandelbar wie kaum eine andere Welt. Und wie die inzwischen vergangene Echsenwelt unterliegt auch sie einer progressiven Entropie.«
»Das… das heißt, sie wird sich selbst in Chaos auflösen?«
Merlin lächelte dünn.
»Ich sah ihren Anfang, und ich sah ihr Ende«, sagte er.
»Und -wann wird das der Fall sein?« fragte Zamorra heiser.
»Das ist etwas, das ich nicht weiß«, erwiderte der Zauberer von Avalon. »Der Zeitlauf der Straße der Götter läßt sich nicht berechnen. Es kann gestern geschehen sein, es kann aber auch noch eine Milliarde von Jahren dauern.«
»Du sahst ihr Ende, hast du gesagt«, erinnerte Zamorra. »Wann hast du es gesehen?«
»Das ist etwas, das ich nicht weiß. Der Zeitlauf der Straße der Götter läßt sich nicht berechnen. Es kann gestern geschehen sein, es kann aber auch noch eine Milliarde von Jahren dauern.«
Zamorra schluckte. Den gleichen Wortlaut hatte Merlin doch eben schon von sich gegeben!
»He, ich fragte dich nach dem Zeitpunkt, wann du das Ende der Straße der Götter gesehen hast!« drängte er.
»Das ist etwas, das ich nicht weiß. Der Zeitlauf…«
»Schon gut«, unterbrach Zamorra. »Genau diese Worte hast du schon zweimal gesagt.«
»Ja?« Merlin hob die Brauen. »Warum fragst du mich dann erneut?«
»Weil ich wissen will, wann die Straße der Götter vergeht!«
»Das ist etwas, das ich nicht…«
»Ja, zum Teufel!« schrie Zamorra. »Ich wußte nicht, daß du so etwas wie ein lebendes Tonband bist, das auf Knopfdruck oder Zuruf immer den gleichen Text wiederholt!«
»Temporäre Entropie«, sagte Merlin leise. »Es ist nicht meine Schuld. Es ist die Straße der Götter. Ihre Kraft ist jetzt in mir. Die Totengeister…«
»Was ist mit ihnen? Und sag jetzt nicht schon wieder den gleichen Spruch auf!«
»Ich… ich mußte mich mit ihnen verbinden«, sagte Merlin leise. »Nur so konnte ich…«
Er verstummte wieder.
»Wirst du jetzt schon wieder zum delphischen Orakel?«
Merlin atmete tief durch.
»Nein.« Er schüttelte müde den Kopf. »Vielleicht sollte ich dir tatsächlich etwas mehr erzählen. Von den Totengeistern. Danach wirst du verstehen, warum du nicht in die Straße der Götter gehen darfst. Nicht du, und nicht jetzt…«
»Ich bin ganz Ohr«, versprach Zamorra.
***
Sayana fragte sich, warum sie noch lebte.
Noch immer war sie gefesselt von dem Geäst der Seelenbäume. Aber der tödliche Druck verstärkte sich nicht weiter.
Und dann, von einem Moment zum anderen, war sie frei.
Sofort sprang sie auf, griff wieder nach ihren Waffen. Sie hatte sie fallengelassen, weil der Würgegriff ihr die Kraft geraubt hatte.
Da bemerkte sie, wie hell es in dieser Pflanzenhöhle geworden war.
Und sie sah Byanca!
Die Freundin war nackt, und sie kam, das grell glühende Dhyarra-Schwert in der Hand, auf die Amazone zu.
Aber - wie war das möglich?
Byanca war doch gestorben!
Sayana hatte es mit eigenen Augen gesehen!
Und die Amazonenkönigin hatte in ihrem jungen Leben schon genug Menschen sterben gesehen, um zu wissen, daß Byanca wirklich tot gewesen war.
Es gab keinen Zweifel.
Doch nun war sie wieder da und lebte…
»Laß uns gehen, Sayana«, hörte sie die Halbgöttin sagen. »Wir müssen uns auf die Sturmrösser vorbereiten. Uns bleiben nur noch wenige Herzschläge.«
»Du - du bist doch tot«, keuchte Sayana.
»Ich bin Byanca«, sagte die Halbgöttin. »So einfach kann man mich nicht töten.«
Da stimmt etwas nicht, dachte Sayana. Sie erinnerte sich daran, wie Alissa Byanca ins Dorf gebracht hatte. Mehr tot als lebendig war sie da gewesen, getroffen von einem Armbrustbolzen oder einem Pfeil der Stadtwache von Paro, unter starkem Blutverlust leidend. Erst die Magie der alten Heilerin hatte Byanca wieder auf die Beine gebracht.
Aber jetzt mußte Byanca wirklich und tatsächlich tot gewesen sein!
Aber noch ehe
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