0581 - Die Geistermutanten
fesselten. Nur darüber nachdenken. Alles andere war unwichtig. Zum Beispiel der Schocker. Der Schocker war unwichtig. Er konnte warten.
Wichtiger war es zu wissen, warum die Augen solche Macht über ihn hatten.
Die Schwäche kam ganz plötzlich. Von einem Atemzug zum nächsten zitterten Rock Looman die Knie. Er konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten. Mit einem ächzenden Laut stürzte er zu Boden.
Als er aufprallte, war er schon bewußtlos.
2.
Dies ist der vierte Tag des Monats Sikkhia, im Jahr 6333 seit der Gründung des Reiches.
Wir haben gute Arbeit geleistet. Die Vorbereitungen, die wir trafen, als die Welt Zeut noch in unverminderter Herrlichkeit um die Sonne wanderte, haben sich ausgezahlt. Wir sind in der Lage, menschliche Wesen in einem winzigen Bruchteil der Zeit zu erzeugen, deren der normale Geburtsprozeß bedarf.
Freilich ist damit das Problem noch nicht gelöst. Was wir schaffen, sind leere Hüllen ohne jeglichen Geist. Wir können ein befruchtetes Ei in einem Zehntel der Zeit, die der natürliche Vorgang erfordert, in einen Säugling verwandeln und den Säugling in wenig mehr als einem Dreihundertstel der Zeit, die er sonst dazu brauchen würde, in einen erwachsenen Menschen.
Das ist ein biologisches Wunder, wenn man es recht betrachtet, aber wenn es dabei allein bliebe, wäre es gleichzeitig das nutzloseste Experiment, das ein intelligentes Wesen jemals angestellt hat. Denn die biologisch Erwachsenen besitzen nicht einmal die einfachsten Reflexe, die zum Überleben nötig sind.
Sie wissen nicht einmal genug, um Atem zu holen oder das Herz pumpen zu lassen. Wollten wir sie sich selbst überlassen, wären sie in wenigen Augenblicken tot.
Nun, wir haben auch dieses Problem gelost. Während sie vom Säugling zum Erwachsenen reifen, pflanzen wir in ihr leeres Bewußtsein die Reflexe, deren sie zum Überleben bedürfen. Das ist ein schwieriges Unterfangen, aber wir haben es bewältigt. Von hundert unserer synthetischen Wesen stirbt kaum eines, weil es die Instinktreflexe nicht beherrscht.
Auch mit der Einpflanzung des nötigen Wissens waren wir erfolgreich. Im Zeitraum von wenigen Tagen machen wir aus den völlig öden Gehirnen Schatzkammern reinen Fachwissens. Es ist merkwürdig: Wenn wir die Synthetischen zum erstenmal zu sehen bekommen, verstehen sie noch nicht einmal zu sprechen.
Und ein paar Tage später können sie schon ein kompliziertes Raumschiff steuern, Geschützberechnungen anfertigen oder ein Kriegsentscheidungsspiel auf einem Rechner spielen.
Aber auch das ist noch nicht alles.
Obwohl sie synthetisch gezogen sind, haben sie ihren eigenen Willen, und ihr Wille ist eine Funktion des Willens ihrer Eltern, der sich auf sie vererbt hat. Es gibt solche unter ihnen, die während des Lehrvorgangs verrückt werden, weil sie sich weigern, über Raumschiffe, Geschützeinrichtungen und Kriegsspiele zu lernen.
Sie wollen singen oder dichten, kaufen oder verkaufen, wandern oder zu Hause sitzen - und was der Dinge mehr sind, die einem unabhängigen Geist einfallen können. Unser Wirkungsgrad wird dadurch sehr herabgesetzt. Von einhundert Synthetischen sind kaum vierzig für den Zweck zu gebrauchen, den wir im Auge haben. Die übrigen sechzig sind zu unabhängig und wollen ihr eigenes Leben leben.
Wir können das nicht zulassen. Uns obliegt die heilige Aufgabe, das Reich zu verteidigen und den Gegner zu schlagen. Aus einhundert Synthetischen müssen wir einhundert Kampfwillige machen. Wir müssen beginnen, ihren Charakter zu formen, bevor sie zu sich kommen. Unbedingter Gehorsam, bedingungslose Unterwerfung unter die Belange des Reiches muß ihnen eingeimpft werden.
Ich weiß, es klingt unmenschlich. Aber unmenschlich ist auch das Los, das den Söhnen des Reiches sonst anheimfällt. Wir haben keine andere Wahl. Die Nachwelt mag Vauw Onacro verdammen, aber er kann nicht anders.
*
„Im Grunde genommen", erklärte Lorc Muhinau, „ist der Prozeß recht einfach und vor allen Dingen einleuchtend. Während der Aufzucht vom Säugling zum Erwachsenen, werden dem Bewußtsein des Synthos Stimuli mitgeteilt, auf die es reagieren muß. Dabei handelt es sich um Stimuli, auf die verschiedene Reaktionen möglich sind, von denen jedoch nur eine einzige richtig ist."
Die Gruppe hatte sich unter Muhinaus Führung weiter den Zentralgang der Forschungsstation entlangbewegt und stand nun am Eingang zu einer Serie von Labors, die durch offene Durchgänge miteinander verbunden waren.
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