0581 - Wo Dämonen sterben ...
durch. »Was soll das?« fauchte er sie an. »Was brüllst du da von einem Sonnenstich? Kannst du vielleicht auch mal in normaler Lautstärke reden?«
»Laß mich los«, schrie sie ihn erschrocken an. »Du tust mir weh!«
»Was hast du gesagt?« entfuhr es ihm.
»Du tust mir weh!« brüllte sie. »Du sollst mich loslassen!«
»Wenn du hier eine Show abziehen willst, ist das der falsche Platz und die falsche Zeit, Silvie«, zischte Joel. »Lippenlesen kann ich leider nicht! Also, was soll das Affentheater? Wir sind hier nicht im Zirkus!«
Sie streifte seine Hände ab. »Wenn hier einer den Affen macht, bist du es«, protestierte sie leise.
»Kein Grund, mich jetzt schon wieder anzuschreien«, sagte er frostig. »Mit dir stimmt etwas nicht, Silvie. Entweder willst du mich auf den Arm nehmen, oder du bist krank. Hättest du jetzt also die Güte, mir mitzuteilen, was das alles soll!«
»Wenn hier jemand krank ist, bist du es«, stellte sie klar. »Erzählst deinen Kollegen etwas von diesem komischen Baumstamm, wie? Wo ist er denn? Zu Staub zerfallen ist das Scheißding! Nein, Jo. Wir sollten nach Hause fahren. Du hast es geschafft, mir die Stimmung gründlich zu versauen.«
»Ja«, erwiderte er. »Fahren wir nach Hause. Und dann gehst du zum Arzt.«
Sie wandte sich verdrossen ab und ging zu den Fahrrädern. Da war Joel schon wieder bei ihr.
»Was ist?« stieß er hervor. »Willst du nach Hause schwimmen ?«
»Wieso?« fragte sie zornig.
»Weil die Fahrräder da oben an der Brücke stehen!« fuhr er sie an und deutete auf das Wasser der Loire.
Da hielt sie ihn endgültig für übergeschnappt.
Joe hingegen war sicher, daß Silvie in geistige Verwirrung gefallen war. Allerdings konnte er sich beim besten Willen nicht erklären, wie das geschehen sein konnte. Trotzdem beschloß er, sie auf jeden Fall zu einem Arzt zu bringen.
Vielleicht war es doch besser, daß sie vorhin seine Kollegen alarmiert hatte. Die konnten ein Transportfahrzeug herbeordern, mit dem sie beide heimgebracht wurden. Joel wollte und konnte es nicht verantworten, seine Freundin wieder aufs Fahrrad zu lassen. Immerhin wandte sie sich grundsätzlich in die entgegengesetzte Richtung, wenn sie irgendwohin wollte oder sollte, sie flüsterte, wenn ein normaler Mensch laut sprechen würde, und sie brüllte das laut heraus, was eigentlich hätte geflüstert werden sollen…
Etwas mußte mit ihr geschehen sein. Etwas, das Joel nicht begriff.
Das heißt - er begriff es schon, aber er konnte es nicht glauben.
Denn solche abrupten Veränderungen der Psyche gab es nicht in der Wirklichkeit. Es sah eher nach etwas Unheimlichem aus, etwas Fantastischem, Fremdartigem. Etwas Ungreifbares mußte Silvie erfaßt und ihre geistige Veränderung hervorgerufen haben.
Sie war nicht verrückt.
Sie war nur umgedreht worden.
Sie verkehrte alles ins Gegenteil!
Joel pflegte ein vielleicht ungewöhnliches Hobby. Er war Mitherausgeber eines Magazins, das sich in Wort und Bild mit Horror-Geschichten und Gruselfilmen befaßte. Und in solchen Geschichten wurde durchaus über Erlebnisse erzählt, die diesem hier glichen.
Eine Weile hatte Joel sogar den Verdacht, in einem bösen Alptraum zu stecken, aus dem er nicht wieder herauskam und der vielleicht durch seine Mitarbeit an dem Horror-Magazin hervorgerufen worden war. Viele Dinge verarbeitet das Unterbewußtsein bekanntlich nur in Träumen.
Aber er träumte nicht.
Dieser Traum dauerte viel zu lange, und er hatte auch viel zu friedlich angefangen, um sich in einen Alptraum zu verwandeln.
Wie auch immer, dieser Urlaubstag war wirklich gründlich versaut, so wie Silvie gesagt hatte.
Nach einer Weile fuhr ein größerer Wagen heran, in den auch die Fahrräder paßten. Der Uniformierte, der am Lenkrad saß, wollte natürlich wissen, was sich hier abgespielt hatte. Er war losgeschickt worden, um einen Kripo-Beamten und dessen Begleiterin irgendwo aus dieser wildromantischen Landschaft abzuholen.
Joel Wisslaire zeigte sich nicht besonders gesprächig.
Zuletzt warf er noch mal einen Blick auf den eigenartigen Körper, den er aus dem Wasser gezogen hatte und der von allen anderen als eine Art skurril geformter Baumstamm bezeichnet worden war.
Hatte Silvie nicht behauptet, er sei zu Staub zerfallen?
Er lag immer noch da.
Und er bewegte sich.
Das war der letzte Eindruck, den Joel Wisslaire von dem Objekt wahrnahm, ehe der Polizeiwagen um eine Kurve bog und es seinem Blick entzog…
Als sie in St. Germain-Laval
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