0588 - Das Ding aus dem Koffer
ehrwürdigen Londoner Stadtteil. Im Süden grenzte er an das East End, wo aus dem Boden gestampft, renoviert und spekuliert wurde auf Teufel komm raus. Ein Gebiet für Yuppies und Gutverdienende. Die Armenviertel existierten ebenfalls noch. Viele Besucher der Versteigerungen waren arm, hatten keinen Penny in der Tasche. Helen Taylor taten die Menschen leid. Am liebsten hätte sie ihnen einiges geschenkt, doch das war streng verboten. Es hätte sie den Job gekostet im schlimmsten Fall. Also würde sie weiter in die gezeichneten und manchmal bittenden Gesichter der Frauen und Männer schauen und die Amtsperson spielen.
An der Haltestelle Alt Gate East musste sie aussteigen. Hier kreuzen sich die Commercial Street und die Whitechapel High Street, ein Knotenpunkt in dieser Gegend, auf dem der entsprechende Betrieb herrschte und der von einer warmen Maisonne angestrahlt wurde.
Noch glühten die Straßen nicht, doch zum Ende des Vormittags hin würde die Hitze wieder hochsteigen und die Menschen stöhnen lassen. Helen dachte an die Versteigerungshalle des Pfandhauses, die sich bis auf den letzten Sitzplatz füllen würde. In der Wärme war der Geruch der Menschen kaum noch zu ertragen, und auch die zu versteigernden Gegenstände stanken oft erbärmlich.
Helen Taylor brauchte nicht durch den Haupteingang zu gehen.
Sie schritt an der rötlichbraunen Front vorbei, wo selbst die alten Fenster im Sonnenlicht wie neu wirkten, und drehte sich schließlich nach links, in die breite Einfahrt hinein. Durch sie fuhren auch schwere Trucks, wenn sie Waren im Hinterhof abluden, wo sich die Lager befanden.
Das Haus gehörte zu den älteren in London. Selbst die alten Feuerleitern waren vorhanden. Im Zickzackkurs führten sie zum Dach.
Ihr Büro lag nach hinten raus. Das Fenster konnte nur in der Höhe des Oberlichts geöffnet werden. Wenn der Lärm auf dem Hof zu stark wurde, ließ Helen das Fenster zu.
Arbeiter kamen ihr entgegen. Die Gänge waren breit genug, um auch Sackkarren schieben zu können. Sie grüßten, Helen winkte zurück und lächelte. Sie war als Kollegin beliebt und hatte zu allen Mitarbeitern ein gutes Verhältnis, auch zu ihrem Boss, Brian Denkford. Der allerdings wartete an diesem Tag schon vor ihrer Bürotür, in der Rechten einen Stapel Papiere, die er ungeduldig schwenkte.
»Guten Morgen, Mr. Denkford.«
»Morgen, ich dachte schon, Sie würden heute nicht erscheinen.«
»Wieso das?«
»Es ist schon über die Zeit.«
»Die fünf Minuten. Was gibt es denn?«
»Das erzähle ich Ihnen im Büro.«
Helens Arbeitszimmer war ziemlich klein. Es roch nach Holz und Bohnerwachs. Die Putzfrau hatte den Fußboden am gestrigen Abend frisch gewienert.
Helen stellte das Oberlicht schräg, packte aus einer Schublade Papiere auf den Schreibtisch und sah, wie Brian Denkford noch einige dazuknallte. »Das ist gestern Abend noch eingetroffen«, erklärte er und wartete auf eine Reaktion.
»Und?«
Er hob die Arme. Schon jetzt zeichneten sich Schwitzflecken unter seinen Achseln ab. Auch sein Gesicht war schweißnass. »Das müssen Sie noch auflisten, Helen. In zwei Stunden beginnt der Betrieb.«
»Ja, ich weiß.«
»Schaffen Sie das denn?«
Helen lächelte entwaffnend. »Wenn Sie mich nicht stören, wird alles klargehen.«
»Sie haben Nerven.«
»Die braucht man bei Ihnen, Chef.«
Er winkte hastig ab und ging davon. Helen blieb zurück, richtete ihre Brille und machte sich an die Arbeit. Sie schaute durch, was noch in letzter Minute vor der Versteigerung eingetroffen war, und fütterte damit den Computer.
Auf Endlospapier tickerte der Drucker die einzelnen Gegenstände aus und hatte sie gleichzeitig mit einer Nummer versehen.
Die Nummern wurden auf die zu versteigernden Gegenstände geklebt.
Helen überlegte, ob sie die Arbeit nicht einem der Lagerarbeiter übertragen sollte, entschied sich aber dafür, es selbst zu übernehmen. Die Männer hatten an diesem Vormittag ebenfalls alle Hände voll zu tun. Außerdem konnte sie im Lager dem hektischen Brian Denkford besser ausweichen.
Die Lagerhallen des Pfandhauses glichen gewaltigen Höhlen mit unheimlich hohen Decken. In kaum überschaubaren Regalen stapelte sich die Ware, die noch versteigert werden musste. Die Gänge dazwischen wirkten durch ihren grauen Belag wie breite Straßen.
Die an diesem Tag zu versteigernden Gegenstände waren bereits aus dem Lager herausgeholt worden und wurden in Reichweite aufbewahrt, um sie so rasch wie möglich in die Halle schaffen
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