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059 - Der Folterknecht

059 - Der Folterknecht

Titel: 059 - Der Folterknecht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Wolf
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sprang mit schußbereiter Waffe aus dem Wagen und öffnete für Dorian die Tür.
    Nebel hüllte sie ein, und ein feiner Nieselregen fiel vom Himmel. Es waren kaum Leute auf der Straße. In einer halben Stunde würde sich die Nacht auf London herabsenken.
    Cohen und Powell nahmen Dorian in die Mitte, und zu dritt betraten sie das Haus. Die zwei Treppen zu Miß Pickfords Wohnung legten sie hintereinandergehend zurück. Cohen, der Spezialist für das Knacken von Schlössern war, machte sich an der Tür zu schaffen, schien aber Schwierigkeiten zu haben. Als ihm die Geduld riß, probierte er einfach die Türklinke, und siehe da, die Tür schwang auf.
    Powell grinste.
    „Kommen Sie nur herein, Mr. Hunter!“ ertönte Olivaros Stimme aus der Wohnung. „Ich habe Sie schon erwartet.“
    Dorian gab seinen beiden Leuten durch einen Wink zu verstehen, daß sie im Stiegenhaus warten sollten, und betrat die Wohnung, die, Miß Pickfords Verhältnissen entsprechend, gutbürgerlich, aber ohne besonderen Geschmack eingerichtet war. Obwohl Miß Pickford schon vor einiger Zeit auszog, herrschte peinlichste Sauberkeit.
    Olivaro hatte in einem Ohrensessel Platz genommen und sprang bei Dorians Eintritt auf, um ihm die Hand zu schütteln: Er war klein, reichte Dorian bis knapp ans Kinn, hatte ein schmales Gesicht, in dem die Augen zu weit auseinander lagen, und der Mund war zu groß und zu voll. Das kurzgeschnittene Haar, an den Schläfen angegraut, verlieh ihm etwas Strenges, Seriöses. Man konnte ihm den Bankier leicht glauben, wenn man nicht wußte, daß er vor allem ein Dämon war. Welche Fähigkeiten er besaß, hatte Dorian jedoch bisher noch nicht erfahren, und er fragte auch aus Rücksicht auf ihre Zusammenarbeit nicht danach. Olivaro war der einzige Dämon, dem Dorian nicht nach dem Leben trachtete, obwohl er über ihn Bescheid wußte. Olivaro hatte ihn in Hongkong vor den leichenfressenden Ghouls gerettet und ihm auch ein Motiv für seine Zuneigung genannt. Nach seiner Aussage hatte ihm Dorian einmal aus der Patsche geholfen, wofür er sich in Hongkong revanchiert hatte. Doch so sehr Dorian sein Gehirn auch zermartert hatte, er konnte Olivaro nirgends unterbringen. Und Olivaro ließ sich nicht dazu herbei, konkrete Angaben zu machen.
    Dorian ließ sich lächelnd Olivaro gegenüber in einen Sessel sinken. Über ihren Köpfen brannte eine schwache Deckenlampe.
    „Das muß ja ein furchtbarer Traum gewesen sein, daß Sie sofort um den halben Erdball flogen, um ihn mir zu erzählen“, meinte Dorian. „Worum ging es?“
    „Ich muß Ihnen zuerst etwas erklären, Dorian. Ich darf Sie doch so nennen?“
    „Natürlich. Wir sind doch schon alte Bekannte.“
    „Ich muß Ihnen erklären, daß ich manchmal Wachträume habe. Als mir der verwachsene Mann im Traum erschien, wußte ich sofort, daß Sie im Schmutz der Vergangenheit wühlen.“
    „Ein verwachsener Mann?“ wunderte sich Dorian. „Ich sehe da keinen Zusammenhang zu mir.“ „Aber er steht im Zusammenhang mit der Vergangenheit, die Sie besser ruhen lassen sollten, Dorian.“
    „Aha, daher weht also der Wind! Erzählen Sie mir lieber von ihrem Traum! Vielleicht kann ich ihn auch entschlüsseln.“
    „Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich sah nur den verwachsenen Mann. Er sah aus wie – wie Quasimodo, um ein Beispiel aus der Literatur zu nennen. Er hatte einen Buckel und krumme Beine, sein Kopf saß tief zwischen den Schultern, das eine Auge war bis zum Mundwinkel heruntergezogen, die Unterlippe des schiefen Mundes wölbte sich nach unten, und Speichel tropfte daraus hervor. Bemerkenswert war auch seine Kleidung, die aus einem mittelalterlichen Wams und enganliegenden Trikothosen bestand, die seine krummen Beine besonders zur Geltung brachten.“
    „Die Beschreibung paßt haargenau auf einen Dämon, der gegen eure Gesetze verstoßen hat und deshalb verdammt und verunstaltet wurde. Aber außer seiner Kleidung sehe ich keine Verbindung zur Vergangenheit. Sie, Olivaro?“
    Der Dämon machte eine wegwerfende Handbewegung. „Es kommt hier nicht auf detaillierte Erklärungen an. Ich weiß, daß der Traum eine Warnung für Sie war. Und wenn Sie selbst damit noch nichts anfangen können – um so besser. Das zeigt, daß es noch nicht zu spät für eine Umkehr ist. Lassen Sie die Finger von der Vergangenheit, Dorian!“
    „Wieso raten Sie mir dazu, Olivaro’?“ fragte Dorian mißtrauisch.
    „Weil ich nicht will, daß Sie sich ins Unglück stürzen“, behauptete der

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