059 - Monster aus der Retorte
behandelte man den cleveren Zeitungsmann, der sein Handwerk von der Pike auf gelernt hatte, wie ein rohes Ei.
Er hatte Zugang zu den vornehmsten Kreisen. Man schätzte ihn als gescheiten Gesprächspartner, bewunderte seinen messerscharfen Verstand und fürchtete seinen ätzenden Zynismus, der schmerzhaft traf, wenn man ihn herausforderte.
Schon seit dem Frühstück war Cyril Fulton wortkarg, was für gewöhnlich nicht seine Art war. Und jetzt stand auch noch eine Unmutsfalte über seiner Nasenwurzel.
Joan Fulton betrachtete sein scharf geschnittenes Gesicht.
Er sieht aus, als würde er gegen jemanden in den Krieg ziehen wollen, dachte das vierundzwanzigjährige schwarzhaarige Mädchen.
Der Chauffeur verlangsamte die Fahrt. Cyril Fulton blickte mißmutig nach vorn und sah, daß der Verkehr ins Stocken geraten war.
Der Verleger schaute auf seine Uhr. »Auch das noch.«
»Wir sind rechtzeitig weggefahren, Dad«, sagte seine Tochter.
»Ich hasse es, zu spät zu kommen.«
Das stimmte. Er war die Pünktlichkeit in Person. Joan hatte in jungen Jahren nur selten mit ihm Probleme gehabt, und wenn, dann meistens deshalb, weil sie sich um ein paar Minuten verspätet hatte.
Ihrer Ansicht nach fielen die Strafen in solchen Fällen immer zu hart aus. Heute war sie ebenso pünktlich wie ihr Vater. Er hatte sie dazu erzogen, und sie kam seither großartig mit ihm aus.
»Fahren Sie einen anderen Weg!« verlangte Cyril Fulton vom Chauffeur.
Der Lincoln scherte aus der Autoschlange aus und bog in die nächste Querstraße ein.
»Darf ich dich etwas fragen, Dad?« erkundigte sich Joan.
»Selbstverständlich.«
»Was ist los mit dir? Was hast du? Fühlst du dich nicht wohl? Du bist seit kurzem so… so angespannt, irgendwie verändert. Wenn es irgendwelche Schwierigkeiten gibt, solltest du mit mir darüber reden. Ich bin deine Tochter und möchte dir helfen.«
Fulton musterte sie mit kühlem Blick. »Das glaube ich dir nicht.«
Joan setzte sich gerade. »Was willst du damit sagen?«
»In meinem Leben hat es immer Probleme gegeben und wird es stets welche geben. Mit den meisten wurde ich bisher allein fertig. Daß ich ausgerechnet an der Hartnäckigkeit meiner Tochter scheitere, läßt mich natürlich nicht kalt.«
Joan seufzte. »Fängst du schon wieder damit an, Vater?«
»Das muß ich, denn in meinen Augen ist Tab Pinsent nicht der richtige Mann für dich.«
»Warum hast du ihn dann zum Chefredakteur gemacht?«
»Weil er ein hervorragender Journalist ist. Aber als Verlobter meiner Tochter taugt er nichts.«
»Wie kannst du das sagen?« fragte Joan empört.
»Ich kenne diesen Mann besser als du.«
»Ich liebe Tab!«
»Das ist ja das Problem. Wo Liebe im Spiel ist, hakt der Verstand aus.«
Joan verschränkte die Arme vor der Brust. »Fängst du jetzt wieder an, ihn mir ausreden zu wollen? Die Mühe kannst du dir sparen.«
»Ich weiß, du hast meinen Dickkopf«, brummte Cyril Fulton.
»Manchmal ist es von Vorteil, einen unverrückbaren Standpunkt einzunehmen, Joan. Es gibt aber auch Situationen, in denen das völlig verkehrt ist. Tab Pinsent ist ein ausgezeichneter Journalist. Seine Kommentare und Leitartikel treffen stets ins Schwarze, haben Biß, sind interessant formuliert und gehen unter die Haut. Kaum ein anderer versteht sich so brillant auszudrücken. Tab ist ein heller Kopf, vielleicht ein wenig zu hell.«
»Wie meinst du das?«
»Dieser Mann ist sehr ehrgeizig.«
»Ich dachte, das wäre in deinen Augen kein Laster, sondern eine Tugend.«
»Nun, alles, was zuviel ist, ist nicht gut. Tabs Ehrgeiz scheint mir schon krankhaft zu sein. Er will überall der Beste sein…«
»Das ist doch kein Fehler.«
»Natürlich nicht, Joan. Aber ein Mann muß auch verlieren können, und das kann Tab Pinsent nicht. Meiner Ansicht nach ist das eine nicht ungefährliche Charakterschwäche. Ich habe dieser Verlobung nur zugestimmt, weil du so sehr darauf gedrängt hast, doch ich bin nach wie vor der Meinung, daß Tab Pinsent nicht imstande ist, dich glücklich zu machen.«
»Aber er tut es!«
»Du darfst Glück nicht mit Leidenschaft verwechseln, mein Kind.«
»Bitte!« sagte Joan wütend. »Nicht diesen belehrenden Ton, Vater. Und sag nicht immer ›mein Kind‹ zu mir. Ich bin vierundzwanzig.«
»Niemand weiß das besser als ich.«
»Ich bin eine erwachsene Frau, und ich habe die Absicht, Tab Pinsent zu heiraten. Mit oder ohne deinem Einverständnis. Wir leben nicht mehr im Mittelalter. Zum Glück nicht, muß
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