0595 - Radio-Grauen
hören?«
»Natürlich. Wir haben die Stimme Ihrer verstorbenen Frau aufgezeichnet und wollen sie uns nun gemeinsam anhören.«
»Über den Sender?«
»Wenn Sie wollen.«
»Es ist mir egal.« Er winkte ab. »Ich bin nur völlig aus den Fugen geraten.«
»Wie lange ist Ihre Frau schon tot?« erkundigte sich Max.
»Knapp drei Monate.«
»Woran ist sie gestorben?«
»Krebs. Es war schlimm. Sie… hat sehr lange leiden müssen, wenn Sie verstehen.«
»Klar.«
»Dabei war sie immer ein Mensch, der das Leben liebte. Sie war lustig, sie wollte noch sehr lange leben und nicht mit fünfundfünfzig Jahren sterben. Das war so sinnlos.«
Max schaute den Mann von der Seite her an. »Hat sich Ihre Frau mit spiritistischen Dingen beschäftigt? Hat sie vielleicht Jenseitsforschung betrieben?«
»Nein, gar nicht.«
»Auch nicht heimlich?«
»Es gab keine Geheimnisse zwischen uns.«
»Verstehe.« Max bekam von Armand ein Zeichen. Die Platte lief aus, sie gingen wieder auf Sendung. Max wußte, wie man die Leute unter Spannung hielt. Er hatte, als er sprach, die Stimme gesenkt.
»So, liebe Hörer, ich habe mit Mr. Taylor gesprochen. Ich kann ihn sehen und muß Ihnen mitteilen, daß er hochgradig erregt ist. Was er erlebt hat, war ein hartes Stück, ein regelrechter Hammer. Er hat das Radio-Grauen erlebt, aber er ist bereit, sich ihm zu stellen. Ich frage Sie, Mr. Taylor: Möchten Sie die Stimme Ihrer verstorbenen Frau noch einmal hören? Sind Sie dazu bereit, dies auf sich zu nehmen, trotz der immensen Belastung, die noch auf Ihnen drückt?«
»Ja, ich will…«
»Gut, Mr. Taylor, und auch Sie, verehrte Hörer, haben es mitbekommen. Dieser Mann ist bereit, sich dem Schicksal zu stellen. Denken Sie darüber nach, bitte.«
Taylor starrte die Kassette an, als würde jeden Augenblick ein Geist daraus hervorkommen. Max spürte, daß sein Zustand nicht gerade optimal war, deshalb vertröstete er die Hörer noch. »Bitte, lassen Sie Mr. Taylor eine Plattenlänge Zeit, er muß sich erst sammeln, was verständlich ist.«
Armand reagierte super. Auf dem Teller lag bereits eine Scheibe, und es erklang eine sehr weiche Musik.
»Kann ich ein Glas Wasser haben?«
Max nickte. Er holte aus dem Vorraum Mineralwasser mit wenig Kohlensäure. Auch seine Kehle saß zu, er konnte ebenfalls einen Schluck gebrauchen. Nur gehörte er zu den Rundfunk-Profis, die sich nicht so leicht aus dem Konzept bringen ließen. Er schaute zu, wie Taylor hastig trank. Noch ein letztes Mal leckte er über seine Lippen, bevor er das Glas zur Seite stellte.
»Geht es Ihnen jetzt besser, Mr. Taylor?«
»So einigermaßen.« Er wischte seine Handflächen an der Hose ab.
»Wir werden die Sache schon hinbiegen. Wird es zu schlimm, dann muß ich stoppen, das heißt, wir werden uns aus der Sendung ausklinken.« Max hatte das Mikrofon eingeschaltet. »Hast du verstanden, Armand? Wenn es soweit ist, ausklinken.«
»Alles klar.«
Max Schreiber beschäftigte sich mit der Kassette. Als er den Recorder einschaltete und das Band zurücklaufen ließ, schrak der Mann neben ihm zusammen. Er sah so aus, als wollte er sich die Ohren zuhalten, überlegte es sich allerdings im letzten Augenblick und ließ seine Arme wieder sinken.
»Soll ich die Kassette kurz anlaufen lassen, damit Sie hineinhören können?«
»Nicht nötig.«
»Ich drücke Ihnen die Daumen. Und noch etwas. Seien Sie hart! Reißen Sie sich zusammen. Ich weiß, daß es Ihnen schwerfällt, aber tun Sie sich und uns den Gefallen.«
»Ja, das werde ich.«
Die Musik lief aus, verstummte, und sofort drang die Stimme des Moderators über den Sender. »So, liebe Hörer, wir sind soweit. Wir stehen gewissermaßen an einem Scheideweg. Mein Gast hat sich bereit erklärt, mit Ihnen und mir zusammen, die Stimme seiner Frau noch einmal zu hören. Wir alle ahnen oder wissen, welch eine Überwindung es ihn kostet!« Max übertrieb gern, wenn er gewisse Dinge anleiern wollte. Diesmal jedoch nicht. Er warf Garry Taylor einen Blick zu. »Fertig?«
»Ja…«
Max Schreiber schaltete den Recorder ein und ließ das Band laufen. Auch er hockte bewegungslos auf seinem Drehstuhl. Sein Nebenmann starrte den Recorder wie hypnotisiert an, und beide hörten Helens Stimme. Sie schien aus den Spulen zu fliegen, emporzusteigen, um in die Ohren der zahlreichen Hörer zu dringen.
Max Schreiber hatte die erste Stimme, mit der er die Sendung hatte beginnen wollen, aus aktuellem Anlaß natürlich weggelassen.
Er hockte da und starrte
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