0599 - Die Burg der Schlange
ehrt Sie zwar, Professor«, sagte sie mit einem Zwinkern, »ist aber nicht nötig. Ein Mann sollte seine Qualitäten richtig einschätzen. Ich bin übrigens Lady Sylvia Stoker.«
Zamorra ergriff die angebotene Hand.
»Sehr erfreut, Lady Stoker«, sagte er und deutete dann auf seine Begleiterin. »Nicole Duval.«
»Angenehm«, sagte Nicole, doch man sah an ihrem flackernden, leicht unterkühlten Blick, daß das beileibe nicht der Fall war. Sie war zwar kein Mensch, der übermäßig zu Eifersucht neigte, aber die Art, wie die Dunkelhaarige ihren Lebenspartner anging, gefiel ihr überhaupt nicht.
Lady Sylvia Stoker musterte Nicole von Kopf bis Fuß und lächelte sie freundlich an.
»Es ist mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, Miss Duval. Man kann Sie nur darum beneiden, einen Mann wie den Professor gefunden zu haben.«
Nicole nickte zustimmend und warf Zamorra einen Seitenblick zu, der Bände sprach, sagte aber nichts.
»Nun«, sagte Sylvia, »nachdem wir die Formalitäten jetzt erledigt haben…« Sie klatschte tatendurstig in ihre feingliedrigen Hände. »Was kann ich für Sie tun, Professor?«
»Eigentlich«, begann Zamorra, »würden wir uns Ihr Anwesen gerne einmal näher ansehen. Wissen Sie, ich interessiere mich leidenschaftlich für die Architektur des Spätmittelalters, und Ihr Besitz ist wirklich ausgesprochen eindrucksvoll.«
»Wenn das so ist«, sagte Lady Sylvia, ohne Zamorra aus den Augen zu lassen. »Leidenschaft und Verlangen sind Gefühle, die man nicht unterdrücken sollte.«
Sie trat beiseite, machte den Durchgang frei und bedeutete den beiden einzutreten.
»Mein Haus ist Ihr Haus, Professor Sehen Sie sich alles an, tun sie, was Sie möchten.«
Zamorra lächelte.
»Herzlichen Dank, Lady Stoker«, sagte er. »Das ist wirklich nett von Ihnen. Allerdings würde unser Glück erst perfekt, wenn Sie sich dazu entschließen könnten, uns bei einem Rundgang durch Ihr Heim sozusagen als Fremdenführer zur Verfügung zu stehen.«
Lady Stoker strahlte.
»Es gibt nichts, was ich lieber täte, Professor.«
Ihre dunklen Augen funkelten dabei wie Diamanten im Sonnenlicht.
»Na, dann.«
Zamorra betrat die Eingangshalle von Hexham Castle. Wobei er Lady Sylvia so nahe kam, daß er sie fast streifte.
Er sah sich neugierig in dem saalartigen Raum um.
Nicole folgte ihm, weit weniger enthusiastisch. Als das Portal mit einem dumpfen Krachen ins Schloß fiel, zuckte sie zusammen.
Aus irgendeinem Grund, den sie nicht näher in Worte oder Gedanken zu fassen vermochte, hatte sie den Eindruck, als wäre soeben eine Kerkertür hinter ihnen geschlossen worden…
***
Es stellte sich heraus, daß Zamorras Einfall, Sylvia Stoker als Fremdenführerin zu ›engagieren‹, ganz gut gewesen war. Hexham Castle war so verwinkelt und weitläufig, daß die beiden Franzosen sich in den vielen Korridoren, Gängen und Zimmern mit Sicherheit hoffnungslos verlaufen hätten.
Während sie ihre Besucher durch ihr Anwesen führte, ihnen die wichtigsten Räume - Ballsaal, Rittersaal, Bibliothek - des Gebäudes zeigte, flirtete Lady Sylvia so offensiv mit Zamorra, daß Nicole sich schnell wie das sprichwörtliche dritte Rad am Wagen vorkam.
Sie gab sich Mühe, die angriffslustige Erotik ihrer Gastgeberin zu ignorieren und Zamorra das Interesse, das Lady Stoker ihm entgegenbrachte, zu gönnen. Doch das fiel ihr nicht sonderlich leicht.
Zwischen Zamorra und ihr hatte es nie Eifersüchteleien gegeben. Sollte der Partner ruhig mal mit einer oder einem anderen flirten, es war ja nichts dabei. Beide wußten, daß sie sich bedingungslos treu waren.
Aber das hier war irgendwie anders, das spürte Nicole. Lady Sylvia spielte mit Zamorra, und der schien das nicht mal zu bemerken.
Gleichwohl waren die Informationen und Anekdoten, die Lady Sylvia über Hexham Castle erzählte, durchaus interessant, das Gemäuer befand sich seit über vierhundert Jahren im Besitz ihrer Familie.
Leider hatte das alles herzlich wenig mit den Todesfällen zu tun, die Nicole und Zamorra untersuchen wollten, und so seufzte Nicole innerlich auf, als die Hausherrin nach einer knappen Stunde endlich verkündete, daß sie sich mit großen Schritten dem Ende ihrer ›Tour‹ näherten.
»Bloß noch den Trophäenraum möchte ich Ihnen zeigen«, sagte sie, während sie einen langen Korridor entlanggingen, dessen Wände mit riesigen Portraits in Goldrahmen geschmückt waren.
Sie gelangten an eine gewaltige Doppeltür.
»Dieses Zimmer ist mein ganzer Stolz. Sie
Weitere Kostenlose Bücher