0599 - Die Kralle
Sheila schob die Sonnenbrille etwas tiefer und peilte ihrem Mann ins Gesicht.
»Was ist mit dir, Bill? Du kennst dich doch auf dem Parkett aus, was berühmte Namen angeht.«
Er winkte ab. »Wieso berühmt? Muß dieser van Meeren denn unbedingt berühmt sein?«
»Das meine ich schon, denn ich glaube nicht, daß Deliah jemand heiratet, der gesellschaftlich nicht zu ihr paßt.«
Der Reporter verzog den Mund. »Ist sie so eine?«
Sheila lachte. »Nein, nicht, was du meinst. Sie ist nicht überheblich oder arrogant. Es sei denn, sie hat sich in den letzten Jahren geändert. Nur dürfen wir die Augen nicht verschließen. Geld heiratet zu Geld, Adel zu Adel…«
»Und ich habe dich geheiratet«, sagte Bill grinsend.
Sheila lächelte. »Bereust du es?«
»Nein, eigentlich nicht, obwohl du auch nicht gerade unvermögend warst und einen armen Reporter geehelicht hast.«
»Ja, ich hatte Mitleid.«
Bill verdrehte die Augen. »Das darf doch nicht wahr sein. Sag das mal Sakuro. Irgendwo ist dieser verfluchte Dämon damals ja unser Ehestifter geworden. Ohne ihn hätten wir uns nicht kennengelernt, glaube ich.«
»Das stimmt allerdings.« Sheila hob ihr Glas. »Nun ja, das liegt lange zurück, beschäftigen wir uns lieber mit den Problemen der Gegenwart. Nehmen wir die Einladung an, oder nicht?«
»Hm.« Bill überlegte. »Das wäre schon in drei Tagen.«
»Richtig.«
»Gefällt mir nicht. Es ist viel zu heiß. Bei dem Wetter bleibe ich lieber hier. Da muß ich mich in einen Smoking zwängen und den feinen Max markieren…«
»Ich brauche natürlich ein neues Kleid.«
»Ha, da haben wir es.«
»Ja, das ist wichtig.«
»Du willst also hin?«
Sheila nickte. »Im Prinzip ja. Daß wir die Einladung so spät erhalten haben, dafür wird es Gründe geben, die ich gern wissen möchte. Ich werde Deliah anrufen.«
»Wirklich?«
»Ja – weshalb nicht?«
»Das macht keinen guten Eindruck.« Bill schüttelte den Kopf. Er schaute noch einmal auf die Karte. »Sie feiern ja nicht in London. Wir würden noch fahren müssen.«
»Die paar Meilen. Nicht einmal bis Canterbury.«
Er winkte ab. »Tu, was du nicht lassen kannst. Am besten ist es, wenn wir uns später entscheiden.«
»Nicht zu spät, Bill.«
»Heute abend.«
Sheila war einverstanden. »Gut.« Sie erhob sich aus dem Sessel.
»Ich denke mal über ein neues Kleid nach und…«
Das Telefon summte. Es stand auf dem Tisch und gehörte zu den tragbaren Geräten, die auch mit nach draußen genommen werden konnten. Sheila war zu faul, abzuheben, sie überließ es Bill, der sich mit träger Stimme meldete, dann steif sitzenblieb und seine Frau anstarrte.
»Was ist denn?«
»Es ist Deliah Courtain«, flüsterte der Reporter, die Sprechmuschel zuhaltend.
Sheila setzte sich wieder. Bill hörte angespannt zu, er sagte wenig, hin und wieder ein knappes ›Ja‹ oder ein ›Das ist ja sehr seltsam, was Sie da erlebt haben‹. Er räusperte sich. »Auf jeden Fall bekommen Sie Bescheid, ob es klappt. Ich denke aber, daß wir es einrichten können. Sie hören noch von uns. Die Grüße an Sheila werde ich bestellen. Bye, Miß Courtain.« Bill legte auf.
»Was war denn los?« fragte Sheila.
Der Reporter strich über sein Gesicht, wo sich der Schweiß angesammelt hatte. »Wir haben vor Jahren schon eine Horror-Hochzeit erlebt«, murmelte er, »kannst du dich erinnern?«
»Klar.« Sheila nickte heftig. »Das war die Heirat der Lucienne Lancomb.«
»Mit einem Werwolf.« Bill atmete tief durch. »Ich will nicht sagen, daß jetzt das gleiche vor uns liegt, aber Ähnlichkeiten sind schon vorhanden.«
»Und weiter!«
»Deliah hat darum gebeten, daß wir nicht allein kommen. Ein dritter Gast soll ebenfalls erscheinen.«
»Wer denn?«
»Ganz einfach, John Sinclair!«
»Nein!« Sheila bekam große Augen. »Das kann nicht stimmen. Weshalb soll John dabei sein?«
»Deliah fühlt sich bedroht. Aber Einzelheiten erkläre ich dir, wenn John hier ist. Hoffentlich hat er Zeit…«
***
Ich hatte an diesem Abend Zeit, rein zufällig. Auf der Fahrt nach London war nichts mehr passiert, kein weiterer Aufenthalt, der mir noch einmal einen Fall gebracht hätte wie der eines gewissen Reverend Guthry, dem Teufel in Menschengestalt.
London hatte mich wieder. Die Hitze lag auch hier, ich freute mich trotzdem, alle Freunde wieder begrüßen zu können. Ich hatte natürlich viel zu erzählen, auch daß es gelungen war, meine Mutter aus den Klauen des Vampirs Mallmann zu befreien, wobei Jane
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