0599 - Die Kralle
Körper in die Höhe. Er trug Bermudas, schlüpfte in die Sandalen und hörte vom Pool her das Lachen seines Sohnes Johnny, der dort mit zwei Klassenkameraden tobte. Die Jungen waren dabei, sich gegenseitig von der Luftmatratze zu stoßen, die, wenn sie aufgeblasen wurde, die Form eines Sessels bekam.
Sheila schaute ihrem Mann nach. Auch sie genoß das warme Wetter. Am Morgen konnte man es noch aushalten. Gegen Mittag wurde die Schwüle unerträglich, so etwas hatte es auf der Insel schon lange nicht gegeben. Dieser Sommer würde in Erinnerung bleiben.
Glücklicherweise regnete es in der Nacht oft kurz und heftig, so daß die Conollys darauf verzichten konnten, den Rasen zu sprengen oder die Blumen zu gießen.
Auch Sheila trug nur einen Badeanzug. Einen schwarz-weißen Einteiler mit sehr hohem Beinausschnitt. Aufregend!
Der Himmel war nicht wolkenfrei. Eine Dunstschicht hatte sich über ihn gelegt und ließ den Ball der Sonne wie ein verwaschenes, gelbes Auge erscheinen.
Die Conollys waren in diesem Sommer nur kurz weggefahren.
Kleine Trips aufs Festland, ansonsten hatten sie die algenverseuchten Strände des Südens gemieden und die Tage in ihrem Bungalow im Londoner Süden verbracht, was Sheila sehr lieb gewesen war.
Auch Bill hatte in Familie gemacht, Dämonen und ähnliche Geschöpfe hatten sie in den letzten Wochen anderen überlassen.
Sheila fühlte sich wohl. Auch deshalb, weil es Johnny, ihrem Sohn so gutging. Er hatte den letzten gefährlichen Fall gut überstanden, als eine Klassenfahrt fast tödlich geendet hätte. [1]
Daran dachten sie nicht mehr, sie hatten die letzten schönen Wochen genossen.
Bill stand mittlerweile am Briefkasten und schaute die Post durch.
Seine Stirn umwölkte sich, als er die Absender las. Drei Rechnungen waren dabei, natürlich Reklame, aber auch eine Einladung, deren Büttenpapier sich von den anderen abhob.
Damit ging Bill zurück, die anderen Dinge ließ er in der Diele auf einer Ablage liegen.
Sheila schaute hoch, als der Schatten ihres Mannes über sie fiel.
»Ist was?« fragte sie.
»Ja, wir sind eingeladen worden.«
»Wie schön. Von wem?«
»Deliah Courtain und ein gewisser Prosper van Meeren. Kennst du die beiden?«
»Du nicht?«
»Nein.«
Sheila nahm die Sonnenbrille ab und setzte sich aufrecht. Dann nickte sie. »Klar, Deliah Courtain ist mir ein Begriff. Ich habe mal mit ihr gearbeitet, als ich unbedingt in der Modebranche Fuß fassen wollte. Sie gehört zu den Personen, die mehr Geld haben, als sie ausgeben können. Ihre Eltern haben das Vermögen gemacht.«
»Wie schön für sie«, sagte Bill. »Und die lädt uns also ein.«
»Weshalb denn?«
»Ich schaue mal nach.« Bill öffnete den Umschlag und zog eine aufklappbare Karte hervor. Dann lachte er. »Die Sache ist einfach. Wir sollen zu ihrer Hochzeit kommen.«
»Tatsächlich?«
»Ja, auf einem Schloß wird gefeiert oder in einem alten Landhaus. Sie und dieser Prosper van Meeren heiraten.«
»Wann?«
»Am nächsten Wochenende. Hier, lies selbst.« Bill gab seiner Frau die Karte.
Sheila schob die dunkle Brille wieder vor die Augen. »Vornehm, vornehm«, murmelte sie, »Deliah Courtain und Prosper van Meeren geben sich die Ehre. Und das schon am Wochenende.«
»Richtig«, sagte Bill. »Normalerweise verschickt man Einladungen dieser Art früher.«
»Das meine ich auch.«
»Hat man uns vergessen?«
Sheila hob die Schultern. »Keine Ahnung. Ich bin zwar nicht beleidigt, aber komisch finde ich es schon.«
Bill setzte sich, trank einen Schluck Saft und schaute den drei Jungen zu, die aus dem Pool geklettert waren, um ins Haus zu rennen, wo sich Nadine, die Wölfin, aufhielt, denn draußen in der Sonne war es ihr einfach zu heiß.
»Was habt ihr vor?« rief Bill.
»Wissen wir noch nicht, Dad.«
Er ließ sie laufen und zeigte mit dem Finger auf Sheila. »Eine Frage, wie gut kanntest du Deliah?«
»Na ja, wie man sich so kennt in der Branche. Wir haben hin und wieder gemeinsam gegessen und über Mode gesprochen. Deliah Courtain hatte die Verbindungen, die man braucht, um Mode richtig vertreiben zu können, wenn du verstehst.«
»Ja, das ist mir klar.«
»Wir verloren uns dann aus den Augen. Ich weiß nicht einmal, ob sie noch in der Branche tätig ist. Wenn ja, dann nicht mit eigenen Modellen, sondern als Person im Hintergrund.«
Bill widersprach nicht, weil er keine Ahnung hatte. Er erkundigte sich nur nach Prosper van Meeren.
»Den kenne ich nicht. Hört sich niederländisch an.«
Weitere Kostenlose Bücher