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06 - Denn keiner ist ohne Schuld

06 - Denn keiner ist ohne Schuld

Titel: 06 - Denn keiner ist ohne Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Normalerweise hätte Juliet an diesem Abend allein gegessen. Und wenn es so gewesen wäre, dann hätte der Coroner bei ihrem Tod auf Unfalltod durch Vergiftung von eigener Hand erkannt, und keiner hätte je erfahren, wie es zu diesem Unfall gekommen war.
    Sofort wäre sie zur Stelle gewesen, um ihn in seinem Kummer zu trösten, die gute Polly. Sie verstand sich besser als jeder, den er kannte, auf Teilnahme und Mitgefühl.
    Er entfernte das Sardinenöl von den Händen und klebte zwei Pflaster auf den Schnitt. Ehe er zur Tür ging, spülte er noch einen weiteren Schluck Whisky hinunter.
    Luder, dachte er. Dreimal Liebe und Tod.
    Sie kam nicht an die Tür, als er klopfte, deshalb drückte er den Finger auf die Glocke und ließ ihn darauf. Das schrille Läuten verschaffte ihm eine gewisse Befriedigung. Es war ein Geräusch, das einem auf die Nerven gehen konnte.
    Die innere Tür wurde geöffnet. Durch das Milchglas konnte er ihre Silhouette erkennen. Mit dem großen Busen und den unförmigen Kleidern sah sie aus wie eine Miniaturausgabe ihrer Mutter. Er hörte sie sagen: »Du lieber Himmel! Nehmen Sie doch den Finger von der Glocke.«
    Dann riß sie die Tür auf und öffnete schon den Mund, um etwas zu sagen.
    Als sie ihn erkannte, verstummte sie. Sie blickte an ihm vorbei zu seinem Haus hinüber, und er fragte sich, ob sie es wie üblich beobachtet hatte, aber vielleicht einen Moment vom Fenster weggegangen war und so nicht gesehen hatte, daß er kam.
    Er wartete nicht auf ihre Aufforderung hereinzukommen. Er drängte sich einfach an ihr vorbei. Sie schloß beide Türen hinter ihm. Er ging den schmalen Korridor nach rechts hinunter direkt ins Wohnzimmer. Sie war dort drinnen an der Arbeit gewesen. Die Möbel glänzten. Eine Dose Bienenwachs und eine Flasche Möbelpolitur standen vor einem leeren Bücherregal. Daneben lagen mehrere Tücher. Nirgends war auch nur ein Staubkorn zu sehen. Der Teppich war gerade gesaugt. Die Spitzenvorhänge hingen frisch und sauber in den Fenstern.
    Er drehte sich nach ihr herum und zog den Reißverschluß seiner Jacke auf. Sie blieb linkisch an der Tür stehen - den einen nur mit einem Socken bekleideten Fuß an den Rist des anderen gedrückt - und folgte ihm mit ihrem Blick. Er warf seine Jacke auf das Sofa, warf nicht weit genug, sie rutschte herunter. Sie wollte hingehen, eifrig darauf bedacht, alles ordentlich an seinen Platz zu legen. Tat ja nur ihre Arbeit, die gute Polly.
    »Laß sie liegen.«
    Sie blieb stehen. Mit beiden Händen umfaßte sie den Bund ihres unförmigen braunen Pullovers, der ihr lose und formlos auf die Hüften herabhing.
    Sie öffnete den Mund, als er anfing, sein Hemd aufzuknöpfen. Er sah, wie sie ihre Zähne in die Unterlippe grub. Er wußte nur zu gut, was sie dachte und was sie wollte, und es verschaffte ihm eine tiefe Befriedigung zu wissen, daß er sie enttäuschen würde. Er zog das Buch heraus, das er unter dem Hemd getragen hatte, und warf es ihr vor die Füße. Sie sah nicht gleich zu ihm hinunter. Vielmehr rutschten ihre Hände vom Pullover zum dünnen Stoff ihres weiten Zigeunerrocks herab. Seine Farben schimmerten im Licht einer Stehlampe, die neben dem Sofa stand.
    »Ist das deins?« fragte er.
    Zauberkraft der Alchimie: Kräuter, Gewürze und Pflanzen. Er sah, wie ihre Lippen die ersten beiden Wörter formten.
    »Du lieber Himmel, wo hast du denn das alte Ding gefunden?«
    Ihre Stimme klang nur neugierig und verwundert und sonst nichts.
    »Da, wo du es gelassen hast.«
    »Wo ich...?«
    Ihr Blick flog von dem Buch zu ihm. »Col, was soll das?«
    Col. Er spürte, daß seine Hand zitterte von dem Verlangen, sie zu schlagen. Ihre vorgetäuschte Arglosigkeit schien weniger unverschämt als die Vertraulichkeit, die darin lag, daß sie ihn bei diesem Namen nannte.
    »Ist es deins?«
    »Es war mal meins, ja. Ich meine, es ist wahrscheinlich immer noch meins. Aber ich hab es seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen.«
    »Das glaub ich gern«, sagte er. »Es war ja auch gut versteckt.«
    »Was soll das heißen?« »Im Klo hinter dem Spülkasten.«
    Das Licht in der Lampe flackerte, eine Birne gab ihren Geist auf. Sie gab ein feines Zischen von sich und verlosch. Das graue Licht des Tages sickerte durch die Spitzenvorhänge. Polly reagierte nicht, schien es gar nicht zu bemerken. Sie war anscheinend immer noch dabei, seine Worte zu verarbeiten.
    »Es wär gescheiter gewesen, du hättest es weggeworfen. Wie das Werkzeug.«
    »Das Werkzeug?«
    »Oder hast du ihres

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